Die Magie der Filmmusik

Hans Zimmers Klangfabrik Media Ventures in L.A.

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Dürfen wir vorstellen: Media Ventures – eine musikalische Denkfabrik mit Sitz in einem unauffälligen Quasi-Industriegebiet in Santa Monica (Südkalifornien). Die Haustür verrät nichts darüber, dass dahinter Hans Zimmer und ein Team talentierter Komponisten, Sounddesigner und Techniker erstklassige Filmmusik kreieren.

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Hans Zimmers „Main Composing Room“: von Vintage-Modular-Analog-Monstren über Racks voller Sampler bis hin zu state-of-the-art Digital-Synthesizern – ein Paradies für jeden Equipment-Freak. (Bild: Peter Figen)

Von Antz (1998) und Der König der Löwen (1994) über Der Prinz von Ägypten (1998) und Enemy of the State (Der Staatsfeind Nr. 1 – 1998) bis Armageddon (1998) und Thin Red Line (1998): Media Ventures Referenzenliste ist mehr als beeindruckend. Filmmusik stellt jedoch nur eines der Tätigkeitsfelder von Music Ventures dar; ihre Tentakel reichen bis in die kommerzielle Musik und weiter. Der Slogan der Firma: „Kreation und Produktion von qualitativ hochwertiger Musik für Filme, Tonträger, Werbung und Fernsehen. Ausbildung musikalisch talentierter Personen zu erfolgreichen Komponisten und Künstlern. Erhöhung der Kreativität in der Unterhaltungsbranche.“ Zu diesen Zwecken unterhält Media Ventures eine Jingle-Produktionsfirma und ein Label (Mojo Records). Doch damit nicht genug: Musikverlag und Online-Entertainment kommen nun auch hinzu. Nicht schlecht für eine Firma, die vor einem Jahrzehnt mit zwei Angestellten in einem kleinen Hollywood-Büro anfing.

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Durch diese über 7.600 m2 große state-of-the-art Produktionsstätte zu spazieren, ist schlichtweg atemberaubend. Alleine der Raum von Hans Zimmer lässt das Wasser im Mund des abgebrühtesten Equipment-Freaks zusammenlaufen. Tapete? Wo denn? Vom Boden bis zur Decke ist Zimmers Studio mit Vintage- Modular-Synthis, Samplern und Synthmodulen gefüllt. Und dies ist nur einer von vielen mit Synthesizern gefüllten Studios. Kurz: Media Ventures ist eine der ehrfurchtgebietensten Produktionsstätten, die KEYBOARDS-Redakteure je gesehen haben.

Zusammen stark

Die unglaubliche Energie der Media Ventures ist nicht zuletzt auf den Kooperationsgeist zurückzuführen. Während Komponistenteams in der Jingle-Welt keine Seltenheit sind, sind sie bei Filmmusik eher rar. Zimmer braucht weiß Gott keine Hilfe; warum also öffnet er seine Studiotüren?

„Die Idee einer Denkfabrik hat mich schon immer gereizt“, erzählt er. „1976 haben Rifkin und ich unser erstes Studio errichtet; wir studierten damals beide in England und wollten gerne mit anderen zusammenarbeiten. Das Komponieren kann eine sehr einsame Tätigkeit sein. Nicht nur einsam, sondern auch furchterregend. Es kann sehr schön sein, andere kreative Menschen um sich zu haben. Los Angeles ist eine harte Stadt; Gelegenheiten, diese Leute zu treffen, sind dünn gesät. Ich glaube, dass dies eine gute Möglichkeit ist, anderen eben diese Gelegenheiten zu bieten. Und nicht nur zum eigenen Nutzen: Ich genieße es, die Musik anderer Leute zu hören, mich inspirieren – und treiben – zu lassen. Manchmal gehe ich in den Raum eines anderen Komponisten und denke: ‚Hoffentlich kann ich seinen Ansprüchen gerecht werden!‘ “

„Außerdem haben alle Zugriff auf eine unglaubliche Technologie-Infrastruktur“, führt er fort. „Filmmusiken aus diesem Haus klingen anders. Nicht so sehr die Klangqualität – es geht um diese funktionierende Infrastruktur. Eine Zeit lang sagten die Schlechtmacher: ‚Ihr habt doch nur eine Fabrik errichtet. Es ist nur eine Fabrik.‘ Anfangs war ich beleidigt; später wurde mir aber klar, dass sie recht hatten – das ist es genau, was wir getan haben. Wir haben eine Fabrik errichtet; eine Fabrik mit einer Infrastruktur. Es gibt Technologie, es gibt ein unterstützendes Klima – eine Art unterstützendes Netzwerk, in dem Künstler kreativ sein und experimentieren können.“

„Was wir hier eigentlich haben, ist ein Kollektiv verschiedener Leute,“ fügt Jeff Rona hinzu. „Jeder macht sein Ding, schaut aber hin und wieder bei den anderen rein, hilft und inspiriert, wenn nötig oder möglich. Die Idee ist, dass wir einander unterstützen und Ressourcen teilen, sodass jeder die bestmöglichen Ergebnisse erzielt. Wenn ich nicht weiterweiß, kann ich irgendwo anklopfen und fragen: ‚Könntest du dir mal eben was anhören?‘ Oft kommt dann einer zu mir und schlägt etwas vor, das mir nicht eingefallen war. Manchmal reicht es, ein musikalisches Problem aus dem Blickwinkel eines anderen kurz zu betrachten, um auf eine viel bessere Idee zu kommen. Es ist dieser Ideenaustausch, der dieses Haus für mich so wertvoll macht.“

https://www.youtube.com/watch?v=SxX6phlbds8

„Ich nenne es gerne das ,Drei-Musketiere-Prinzip‘ “, sagt Henning Lohner. „Alle für einen und einer für alle. Es funktioniert in allen Richtungen. Es ist also wahr, dass jeder von uns selbständig arbeitet; gleichzeitig aber arbeiten wir alle zusammen. Jeder redet mit jedem. Es ist wie diese Vorstellung der Barock-Ära, wo Musiker und Komponisten zusammenleben und arbeiten.“ Zimmer mag Musikguru Nr. 1 bei Media Ventures sein; dennoch handelt es sich hier keinesfalls um eine Diktatur. „Weder ich noch Jay ist der ‚große Boss‘ hier,“ sagt Hans. „Wir werden ständig von allen anderen eines Besseren belehrt. Durch das Layout des Hauses und unsere Arbeitsweise laufen alle immer wieder in die Räume der anderen und spielen auf ihren Sachen. Manchmal schaut einer rein, wenn man nicht weiterkommt, und sagt: ,Probiere vielleicht mal diese Harmonie unter der Melodie da.‘ “ Er gibt uns ein Beispiel: „Eines Tages kam Jeff Rona – ,Mr. Kritisch‘ (lacht) – rein. Ich weiß nicht mehr, an welchem Film ich gerade dran war, ich war aber sehr stolz auf das, was ich geschrieben hatte. Jeff sagte: ,Ich weiß, dass du das viel besser machen kannst.‘ Ich war zunächst beleidigt und tief verletzt, und wir redeten darüber. Ich sagte: ,Was meinst du damit – ich kann das viel besser machen? Du arrogante Sau!‘ (lacht) Ich hab’s dann aber doch neu geschrieben, und es wurde viel besser.“

Harry Gregson-Williams erinnert sich an ein Ereignis im vergangenen Jahr, bei dem er von einem Hauskollegen gerettet wurde. „Die ganzen Cutter und Regisseure von Armageddon waren bei mir im Studio – eine ganze Bandage. Ich sollte ihnen zum ersten Mal einen Cue vorspielen – die Szene, wo New York demoliert wird. Ich war tierisch nervös; es war der erste Action-Cue, den Trevor oder ich für den Film geschrieben hatten. Ich bereitete also alles vor und ließ laufen. Als ich die Sequenz stoppte, schaute mich Michael Bay mit diesem Blick an: ,Hmmm…‘ – er war sich nicht sicher.

Dann das Gleiche von Jerry Bruckheimer. Ich merkte dann, dass Hans hinten im Raum stand; er war wegen des Krachs reingeschlichen. Um das Ganze etwas abzukürzen: Ich wusste, dass Hans genau das Gleiche schon mal erlebt hatte. Und das ist die Moral der Geschichte: Es ist schön zu wissen, dass nur ein paar Schritte den Flur hinunter einer sitzt, der genau weiß, was du durchmachst, weil er es auch gerade erlebt oder schon mal durchgemacht hat. Das ist sehr beruhigend.“

Demos, für die man stirbt

Läuft man durch die verschiedenen Studios des Media Ventures-Komplexes, so fallen immer wieder die Racks voller Akai-, Roland- und E-mu-Sampler ins Auge, die jeden Raum schmücken. Was ist los? Sitzt Hans in den Vorständen dieser Firmen?

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Wie alle Media Ventures-Studios ist auch John Powells „Composing Room“ voll beeindruckender Gerätschaften. Darunter befindet sich u. a. ein Kurzweil K2500, je ein E-mu Planet Phatt und Vintage Keys, ein Studio Electronics SE-1, ein Clavia Nord Lead, sowie ein Turm von E-mu E4-Samplern (hinter der Glastür rechts). Unter der Peripherie befinden sich Lexicon-, T.C.-Electronics- und Roland-Effekte. Für „das bißchen Grunge“ werden Tech 21 Sansamps verwendet. Akustische Spuren werden mittels eines Pro Tools/24-Systems aufgenommen. Alle Signale landen in drei Yamaha 02R-Pulten; Monitore sind von Quested. Fürs Sequencing verwendet John einen Macintosh mit Logic Audio (Emagic). (Bild: Peter Figen)

Eigentlich dienen die Sampler in erster Linie zum Abspielen der maßgeschneiderten Orchester-Library, die Zimmer und Rona mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen haben. „Ich bin mit Hans für einige Sessions nach London gereist,“ erzählt Jeff. „Es war ein anstrengender, zeitaufwendiger Prozess für alle Beteiligten. ,Können wir bitte das A# noch einmal haben? …‘ Wir waren also da im Studio mit dem ganzen Orchester, und – im Gegensatz zu allem, was Hans und ich bislang gemacht hatten – gab es keinen Dritten, der die Rechnung übernimmt. Irgendwann guckte mich Hans an und fragte: ,Was ist, wenn das alles nicht funktioniert?‘ Ich habe dann alles durchgerechnet und sagte: ,Es ist ungefähr das Gleiche, als würden wir zwei BMWs eine Klippe hinunterstürzen. Wie schlimm ist das?‘ “ Die Geschichte hatte aber ein Happy-End. Die Aufnahme- und darauffolgenden Sampling-Sessions verliefen exzellent, und die Library ist seitdem bei einer ganzen Reihe Media-Ventures-Projekte eingesetzt worden. Bei Hans wird jede Note, die letztendlich von einem Orchester „off-set“ gespielt wird, erst einmal im Demo von der Sample-Library gespielt. Hans erklärt: „Es gibt einen Cue bei Thin Red Line, bei dem die Sample-Version verwendet wurde. Ich fände es toll, wenn Leute versuchen würden, den Cue herauszuhören. Bei As Good as it Gets [Besser geht es nicht – 1998] stammen beide große orchestrale Cues von den Samples.“

Während unseres Interviews hat uns Hans einen Vorher-Nachher-Vergleich eines Cues aus Peacemaker [Fremde Schatten – 1997] beschert. Das Demo war beeindruckend, komplett mit Chor-Einsätzen und warmen, vollen Orchesterpassagen. Die Endversion war ebenfalls beeindruckend; der „Tag-und-Nacht“-Unterschied war jedoch nicht vorhanden – der Aha-Effekt blieb also aus. Laut Rona hat sich die Library um ein Vielfaches bezahlt gemacht: „Es lohnt sich absolut, Zeit, Sorgfalt und Energie in Demos zu investieren, damit sie so gut wie möglich klingen.“

Antz

Die Musik für den computeranimierten Kassenschlager Antz war eine Fangspiel-Zusammenarbeit zwischen John Powell und Harry Gregson-Williams. „Wenn Harry eine Idee hatte,“ erinnert sich Powell an die Sessions, „trafen wir uns; ich spielte dann ein bisschen damit, dann guckte sich John die Sequenz an und ging damit in eine andere Richtung. Ehe man sich umdrehte, hatte ich die Harmonien geändert. Dann fing er an, das Ganze zu orchestrieren. Plötzlich hatten wir einen Percussion-Track, und unser Cue war fertig. Ich würde sagen, dass ich bei Antz genauso hart gearbeitet habe wie bei jedem anderen Projekt – nur nicht so lange.“ Während des Projekts wiesen Harrys und Johns Räume fast das gleiche Equipment auf; die Unterschiede reichten jedoch aus, um einen problemlosen MIDI-File-Austausch unmöglich zu machen. Trotzdem haben sie ein funktionierendes System erarbeitet.

„Während Harry Armageddon fertigstellte, habe ich ein Setup aufgebaut, dass uns durch den Film bringen sollte. Dann haben wir das Setup weitestgehend in Harrys Raum dupliziert. Alles in den Räumen wurde mit den Sequenzen gespeichert, so dass Hallgeräte, Mischpulte usw. sich beim Laden der Sequenz automatisch einstellten.“ Das Ergebnis ist eine festliche und zeitweise dramatische Filmmusik. Wer sich das selber mal anhören möchte: Der Soundtrack ist auf dem Angel/Dreamworks- Label erhältlich.

Gesucht: Filmmusik-Komponisten

Bei all diesem Gerede über das Vorhaben Media Ventures, neuen Komponisten eine Chance in der Glamourstadt zu geben, träumt man selber womöglich gerade davon, die nächste Hans Zimmer-Entdeckung zu sein. Eine solche Erfolgsgeschichte dreht sich um Klaus Badelt, neustes Mitglied des Media-Ventures-Teams. „Ich hatte von Hans gehört“, erzählt er uns, „kannte ihn aber nicht. Eines Tages bin ich einfach hingegangen und hatte das Glück, ihn tatsächlich da anzutreffen und mit ihm sprechen zu können. Schließlich habe ich eine Woche da verbracht, obwohl ich eigentlich im Urlaub war. Hans arbeitete gerade an Peacemaker, und ich durfte in seinem Raum sitzen, zugucken und zuhören, während er komponierte. So haben wir uns kennengelernt. Sechs Monate später gehörte ich zum Team.“

Man selbst könnte also der Nächste sein. Fragt man Hans, welche Qualifikationen er bei einem Komponisten für unerlässlich hält, sagt er: „Interessanterweise arbeitet keiner hier auf dem Instrument, das er wirklich beherrscht. John Powell spielt Bratsche, Gavin ist Geiger, Harry war Chorsänger, Jeff Rona ist Flötist, ich bin eher Gitarrist. Was man mitbringen muss, ist Kreativität: Man muss gute Ideen haben. Wir haben alle exzellentes Equipment; ich glaube aber, dass wir die besten Sachen im Kopf schreiben. Das Titelstück für Prince of Egypt wurde im Auto auf der Rückseite von Harrys Hochzeiteinladung geschrieben. Ich schreibe viel in der Badewanne.

Das Wichtigste ist, man muss viele Ideen haben und originell sein und alle umhauen. Eine Technologie zu erlernen ist relativ einfach; du musst dich nur hinsetzen und das Handbuch lesen. Der Clou ist aber zu wissen, wie man etwas auf die richtige Art und Weise explodieren lässt. Wie man Dinge aus Instrumenten bekommt, von denen noch keiner geträumt hat. Als Harry neu hier war, hatte er meines Wissens noch nie einen Computer angefasst; er schrieb alles auf Papier. Plötzlich ist er derjenige mit einem Nord Modular und der Erste mit einem G3-Macintosh und fliegt allen davon. Und was sind in Jeff Ronas Augen notwendige Qualifikationen? „Es hilft bestimmt, etwas von einem Equipment-Freak zu haben. Es hilft auch, sich auf die Sachen, die man auf der Musikschule gelernt hat, zu stützen; man sollte sie aber nicht als komplette Basis des musikalischen und kompositorischen Approaches sehen. Es ist sehr wichtig, die eigene ‚Stimme‘ zu finden, sowohl klanglich als auch kompositorisch. Was ich an diesem Team so interessant finde, ist, wie unterschiedlich die Einflüsse der Einzelnen sind. Wir hören alle viel Musik – sehr unterschiedliche Sachen. Das Interessante ist aber, dass jeder hier einen ausgeprägten Stil hat. Trotzdem verstehen sie alle, wie wichtig es ist, etwas von einem Chamäleon zu haben. Man darf sich nicht bei der Beschäftigung mit der künstlerischen Vision eines anderen – sprich des Regisseurs – verlieren.“

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(Bild: Peter Figen)

Wer seine Demos von Hans Zimmer oder dem Media Ventures-Team gerne begutachten lassen möchte, dem empfehlt Hans, sich mit Bändern oder CDs an die Music Department bei Dreamworks zu wenden (www.dreamworksrecords.com), mit der Hans kooperiert. Aber Achtung: „Als ich den Job bei Dreamworks annahm,“ sagt Zimmer, „habe ich es als Erweiterung von Media Ventures angesehen. Es gibt hunderte von großartigen Komponisten, die noch keiner gehört hat, und ich wäre gerne derjenige, der sie hört und ihnen eine Chance gibt. Ich höre mir viele Tapes an; die meisten sind aber furchtbar. Wenn ich noch eine Demo höre, das mit einer John-Williams-Kopie anfängt, bringe ich mich um. Wenn ich John Williams will, engagiere ich John Williams.

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Beim Betreten von Hans Zimmers „Composing Room“ wird man als Erstes von dem gigantischen modularen Moog – ein Geschenk von Christopher Franke (Ex-Tangerine Dream, Interview in KEYBOARDS 1/99) – „begrüßt“. Yamaha-Servicetechniker verbrachten ein Jahr damit, den GX-1 (im Vordergrund) vollkommen zu restaurieren. (Bild: Peter Figen)

Ich suche jemanden, der eine neue ‚Stimme‘ hat. Schickt mir keine Sachen, die nach mir klingen. Es gibt nichts Langweiligeres. Schickt mir Sachen, die ich hassen müsste, weil sie so anders sind. Sei heiß, sei kalt – aber sei bloß nicht lauwarm.“ Über das Wachstum von Media Ventures nachdenkend resümiert Hans: „Nichts davon war jemals eine bewusste Entscheidung. Wenn man das aufschreiben würde, was wir als Geschäftsplan hatten, würde es entsetzlich aussehen. Jay und ich haben nie etwas gemacht, weil es auf Papier gut aussah. Wir haben immer danach gehandelt, was uns aufregte. Wenn es kein Abenteuer ist, wenn es nichts mit Kunst zu tun hat, dann interessiert es uns nicht.“

In Hans’ Händen

Media Ventures ist der Himmel auf Erden für jeden, der an Musiktechnologie von gestern und heute interessiert ist. Jeder der Komponistenräume weist ausreichend Equipment auf, um die Regale eines kleinen Musikgeschäftes anspruchsvoll zu füllen. Wenn man alle Räume zusammenzieht, inklusive der unbeschreiblichen Sammlungen in Hans’ Räumen und der zwei Media-Ventures-Studios, sprengt die Equipmentliste jegliche Fantasie.

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(Bild: Peter Figen)

Dies wurde mir insbesondere klar, als ich feststellte, dass mehr unbenutztes Equipment in den Fluren herumliegt, als ich in meinem gesamten Studio habe. Hans hat eigentlich zwei komplette Setups: seinen „Main Composing Room“ und ein Duplikat-Setup, manchmal bei Warner Brothers installiert, das während unseres Besuches in einem zweiten Raum für seinen Assistenten Klaus Badelt installiert wurde. Das zweite Setup beinhaltet zwar nicht alles, die wesentlichen Geräte, die Hans zum Komponieren einsetzt, sind aber vorhanden. Laut Klaus kann eine Diskette mit einer von Zimmers Sequenzen in den zweiten Raum genommen und innerhalb Sekunden damit weiter gearbeitet werden – mit den gleichen Sounds und Mischungen.

Sampler spielen eine große Rolle in Hans’ Setups. In jedem der beiden Räume befinden sich neun E-mu E4 für Orchesterpassagen, vier Kurzweil K2500R für Orchesterpercussion und 21 Roland S-760 für Soloinstrumente. Alle Sampler sind mit maximalem RAM ausgestattet. Die SCSI-Schnittstellen der Sampler führen zu speziell konstruierten SCSI-Patchbays, um gemeinsamen Zugriff auf JAZ- und CD-ROM-Laufwerke zu ermöglichen. Neben den Sampler-Arsenalen befinden sich allerlei Synthesizer in Hans Zimmers Setups. Von seinen mächtigen modularen Moog-, Roland- und Polyfusion-Synthis über zwei Yamaha TX816-Racks bis hin zu den unzähligen Vintage-Roland-Teilen – das Sortiment ist atemberaubend. Aber auch Modelle neuerer Bauart feiern Auftritte: An unserem Interviewtag wurde ein Novatione Supernova angeliefert. Wie Hans’ technischer Assistent Justin Burnett uns erzählte, warteten auch einige Neuheiten auf Installation, mitunter ein Access Virus, ein Roland JP-8080 und ein Yamaha FS1R.

Welche ist also, bei dieser gewaltigen Feuerkraft, Hans Lieblingswaffe? Der Waldorf Wave, derer zwei sich in seinem Besitz befinden. „Auf seine Waves passt er wie ein Fuchs auf,“ erklärt Justin. „Er hat einen Sound, der durch jeden Track schneidet. Er sagt: ,Du kannst meinen Aston-Martin zum Schrott fahren, kannst ihn demolieren. Aber lass’ nichts an meine Waves kommen!‘ Es ist sehr schwierig, Ersatzteile für sie zu bekommen. Momentan ist einer in Reparatur.“ Die Sampler-Ausgänge gehen digital in vier Yamaha 02R; ein fünftes 02R fängt die analogen Synthi-Outputs ab. Ein Yamaha ProMix 01 dient als Submixer für die 16 TX816-Ausgänge. „Anfangs hatten wir viele Probleme, weil die Sampler keine Clock-Inputs haben. Jetzt setzen wir diese 02R-Karten von einer belgischen Firma zwecks Samplerate- Konvertierung und Clocking der Daten ein. Seitdem wir diese Karten haben, funktioniert alles reibungslos.“

Ein sechstes, freistehendes 02R steht neben Hans’ Kompositions-Station. Mit diesem Pult werden die Ausgänge der anderen 02R mit Video-Dialog und Effektspuren gemischt. Interessant: Die 02Rs sind nicht miteinander kaskadiert, sondern werden in das sechste Pult „gefüttert“.

„Wenn die 02R kaskadiert wären, hätten wir nur acht Busse. Auf diese Weise haben wir 40 Busse für Mehrspuraufnahmen.“ (siehe unten) Unzählige Effektprozessoren von Lexicon, Roland, Eventide und anderen werden verwendet. Hans schickt keine zwei Instrumente in den gleichen Raum. Streicher kriegen z. B. einen Hall, während Percussion einen anderen bekommt. So kann er ein Mehrspur-Master der Filmmusik abliefern, bei dem verschiedene Instrumente und Sektionen auf verschiedenen Spuren sind. Die Instrumente werden alle mit Effekt aufgenommen. Würden sich verschiedene Instrumente einen Effekt teilen, gäbe es Probleme beim Mix des Films. „Normalerweise nehmen wir 32-spurig auf, mit einer der großen Digitalmaschinen. Jeder Sound hat eine eigene Spur. Hans mischt selber – eigentlich steht der Mix schon, wenn alles auf Mehrspur geht. Danach müssen im Prinzip die Kanäle nur aufgezogen werden.“

Nichts in Hans’ Räumen ist fest verkabelt oder normalisiert (eine Patchbay ist normalisiert, wenn die obere mit der unteren Buchse intern verbunden ist.) Jeder Ausgang – analog oder digital – führt zu einem großdimensionierten TT-Patchbay. „Ohne Normalisierung sind wir wesentlich flexibler – Hans verändert Sachen ständig während der Arbeit. So müssen wir nie hinter dem Zeug herumkriechen; alle Verbindungen befinden sich direkt hier. Natürlich muss man sich aber mit einem vollgesteckten Patchbay abfinden“, lacht Justin.

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(Bild: Peter Figen)

Jede Verbindung ist symmetrisch ausgeführt. Hat ein Gerät asymmetrische Anschlüsse, so werden sie extern symmetriert. Weiterhin läuft die gesamte Stromversorgung in Hans’ Räumen über USV (batteriegepufferte Stromversorgung). „Seitdem wir auf Batterie-Backup umgestiegen sind – wir verwenden USVs mit zusätzlichem Überspannungsschutz –, haben wir gar keine Probleme mehr. Ich sage jedem, der ein Studio baut, dass er sich Batterie-Backups kaufen sollte. Ein großer, der auch mehrere Geräte zuverlässig schützt, kostet vielleicht 1.000 Mark – ich glaube, wir haben fünf oder sechs davon – es ist aber eine große Hilfe. Fast alle Probleme, die ich mit SCSI, Abstürzen oder Sampler-Crashes hatte, führten auf Spannungsprobleme zurück.“

Wie alle Media-Ventures-Komponisten ist auch Hans Macintosh-User. Sein Lieblingssequenzer ist Steinberg Cubase. Für die Zufuhr der MIDI-Daten zu den Synthis sind zwei Opcode Studio 5LX und zwei Mark of the Unicorn MIDI Time Piece II zuständig. Nur deren MIDI-Outs sind an den Synthis angeschlossen; da Hans kein großer Freund computerbasierter Sound-Editierung ist, gehen keine MIDI-Daten von den Synthis an die Interfaces. „Hans ist ein richtiger ,Hands-On‘-Typ: Er steht lieber auf und editiert direkt am Synthi anstatt alles vom Computer aus zu erledigen“, erklärt Justin.

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Harry Gregson-Williams „Composing Room“ weist ein großes Sampler-Rack auf (Foto links). Sein Synthesizer-Arsenal beinhaltet u. a. einen Yamaha TX816, je einen Waldorf MicroWave II und Pulse, einen Access Virus, einen Clavia Nord Lead und Nord Modular und einen Studio Electronics ATC-1. Als Keyboard-Controller dient eine Korg Trinity Pro X. Gemischt wird mittels Yamaha 02R und Quested-Monitoren. Als Sequenzer verwendet Harry Cubase auf einem Macintosh. (Bild: Peter Figen)

Wird das ganze Equipment denn wirklich eingesetzt? „Ja,“ sagt Hans. „Im letzten Jahr habe ich zwar mehr Orchestermusik gemacht und die Sampler mehr eingesetzt; alle Synthesizer und die analogen Teile werden aber auch regelmäßig verwendet.“ Laut Justin kann die Arbeit mit älterem Vintage-Equipment zeitweise eine richtige Herausforderung darstellen. „Bevor wir die USVs und die ganze spezielle Verkabelung hatten, z. B. als Hans an The Fan [1996] arbeitete, hatte er all dieses Zeug – die alten modularen, analogen Teile – angeschlossen. Das wird natürlich alles mit Patchkabeln gemacht. Manche brauchte man nur leicht anzustoßen, und die Verbindung war hin. Die fehlerhafte Verbindung zu finden war dann ein richtiger Albtraum. Wir hatten also diese ganzen Bereiche abgesperrt, und wenn einer in die Nähe kam, hieß es: ‚Hau da ab!‘ (lacht) Es war alles so empfindlich. Dazu kam, dass wir in diesem Sommer ständig Stromausfall in L.A. hatten. Ich kam rein, und der Strom war weg gewesen; jeden Tag kämpften wir damit, alles wieder in einen normalen Zustand zu bringen.“


Auch wenn man nicht auf dem Niveau der Media Ventures arbeitet: Man kann viel daraus lernen, wie diese Leute ihren Alltag handhaben.

Sound-Library-Organisation

Jeder Komponist des Media-Ventures-Teams hat unzählige Samples und Sounds für verschiedene Instrumente gesammelt. Schneller Zugriff auf diese Sammlungen ist unerlässlich für effektives Arbeiten. Jeder Komponist hat seine eigene Methode bezüglich Library-Management. Hier einige Beispiele:

– Hans Zimmers Assistenten sind gerade dabei, seine gesamten Sounds von MODs auf CD-ROMs zu transferieren. Zurzeit hat jede CD ein Label mit einer Beschreibung des Inhalts. Der Plan sieht vor, eine Datenbank mit allen Sounds zu errichten. Hans’ technischer Assistent Justin Burnett meint aber: „Eigentlich ist es genauso einfach, die Labels zu lesen und sich zu merken, wo alles ist. Es dauert zu lange, die Datenbank zu laden, den Eintrag und dann die CD zu finden.“

– Jeff Ronas Assistent Jim Levine hat eine Datenbank für Jeffs Sounds errichtet, die ihm ermöglicht, den von Jeff gewünschten Sound schnell aufzufinden.

– Sounddesigner Claude Letessier zieht eine direktere Methode vor: Jedesmal wenn er einen Sound kreiert, schreibt er einen Eintrag in sein „Sound-Tagebuch“. Sucht er einen bestimmten Sound, so blättert er einfach sein Buch durch, bis er ihn findet.

Welche Methode man auch für sein Studio wählt: Man sollte sie verwenden und dabei konsequent sein. Schließlich wir man sehen: Die Zeitersparnisse können enorm sein.

Verkabelung

Alle Media-Ventures-Studios und -„Composing Rooms“ weisen eine durchdachte und sorgfältig ausgeführte Verkabelung auf. Wo möglich, sind Verbindungen mittels Elco-Steckverbinder zusammengeführt. Kabel sind gebündelt; Audioleitungen sind von Strom- und Datenleitungen getrennt. Alle Leitungen sind genau beschriftet. So können Fehler schnell aufgefunden und behoben werden.

Patchbays

– Audio: Die meisten Media-Ventures-Räume weisen umfangreiche Patchbays auf. Jede Verbindung – analog oder digital, die eventuell während eines Projektes verändert werden muss, liegt zwecks schnellen Zugriffs auf einer Patchbay an. So wird verhindert, Zeit damit zu verschwenden, hinter Racks herumzukriechen, um umzustecken.  Außerdem sorgt es für einen aufgeräumten Raum, und das Studio kann schnell wieder in den „Normalzustand“ gebracht werden. Wer mehr Zeit hinter seinen Racks verbringt, als ihm lieb ist, sollte die Anschaffung von Patchbays in Betracht ziehen. Bei Media Ventures werden TT-Patchbays verwendet, die 96 Verbindungen auf einer HE zur Verfügung stellen.

– SCSI: Wenn man mehrere Sampler und einen Computer verwendet, ist es nicht sehr kosteneffektiv, getrennte CD-ROM- und Wechselplattenlaufwerke für jedes Gerät einzusetzen. Bei Media Ventures hat man für jeden Raum spezielle SCSI-Patchbays fertigen lassen, die alle SCSI-Schnittstellen der verschiedenen Sampler, Computer und Laufwerke zusammenführen. So können verschiedene Geräte durch kurze SCSI-„Patchkabel“ miteinander verbunden werden. Merke: Dies steht im krassen Gegensatz zu einer grundlegenden SCSI-Regel: SCSI-Verbindungen bei eingeschalteten Geräten zu ändern, kann angeblich zu Schäden und Datenverlust führen. Media Ventures berichtet, dass sie noch keine Probleme durch diese Patching-Methode erlebt haben. „Ich habe mit keinem der Sampler Probleme gehabt,“ erklärt Justin. „Natürlich zieht man keine Kabel während des Ladens oder bei aktivierter Disk-Page.“

Jeff Rona hat für die SCSI-Verbindungen in seinen Räumen eine weniger riskante Lösung gewählt: Er verwendet zwei Glyph SCSI-Switcher mit einer SCSI-Patchbay (ein SCSI-Switcher ermöglicht zwei Geräten, wie z. B. einem Computer und einem Sampler, Zugriff auf ein SCSI-Gerät, und gewährleistet ein „risikoloses“ Verbindungswechsel bei eingeschalteten Geräten).

Möbel und Ergonomie

Jeder Media Ventures-Komponist hat seinen Raum mit speziell gefertigten Möbeln für optimale Ergonomie ausgestattet. Man mag nicht so viel für Möbel ausgeben wollen oder können; aber es lohnt sich allemal, einen kritischen Blick auf das Layout seines Studios zu werfen. Hat man überall dort einfachen, schnellen Zugriff, wo man ständig ran muss? Oder könnte die Verteilung der Geräte verbessert werden? Ein bisschen Zeit in die Optimierung der Studio-Ergonomie zu investieren, kann einem viel mehr Zeit fürs Musikmachen bescheren.

Demos

Die Komponisten des Media Ventures-Teams halten die Demos ihrer Musik für enorm wichtig. Sie verbringen viel Zeit damit, die Demos so gut wie irgend möglich klingen zu lassen. Immerhin ist es das eigene Demo, mit dem man sich verkauft – es sollte also so gut sein, wie es geht.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Liebes Team,
    zunächst möchte ich Euch sagen, dass ich von eurem Studio überwältigt bin. Die Bezeichnung Klangfabrik trifft es wahrhaftig. Der Vergleich zu dem Studio meines Sohnes ist so, als würde ich Äpfel mit Birnen vergleichen wollen;-) Und dennoch bin ich ein großer Verehrer seiner Musik. Geht wahrscheinlich auch nicht anders, weil ein Mutterherz das sagt. Was mich so fasziniert, ist die “Einfachheit” seiner Kompositionen. Er holt seine Klänge aus der Natur, Wohnungsgeräuschen (selbst sein Opa musste seine Stimme mit “Moringa” hergeben;-) oder spielt sie orginal mit seinen Instrumenten ein. Es ist immer wie ein Wunderwerk für mich, wenn er mir aus den einzelnen Geräuschen dann das fertige Stück präsentiert. Im Gegensatz zu euerem Handwerk mimt das eher primitiv aber orinell. Egal wie jeder produziert, das Wichtigste dabei ist, wie jeder Künstler seine Inspiration, seine Kompositionen umsetzt, in ihr explodiert und sie wahrhaftig lebt. Ach ja, wenn Ihr einmal reinhören möchtet, findet ihr ihn unter Lars Karge auf SoundCloud. Übrigens die Bilder zu den jeweiligen Titeln sind auch von ihm selbst gemalt.
    Dann möchte ich auch noch einen ganz, ganz herzlichen Geburtstagsgruß an Hans Zimmer senden. Alles erdenklich Gute, vor allem Gesundheit und weiterhin wundervolle musische Inspirationen!
    Herzlichst Silke

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  2. Hallo Hans Zimmer,
    ich bin ein ganz großer Anhänger Deiner Musik.
    OK, das sagen ALLE!
    Ich bin kein Schleimer sonder ein Opfer – Deiner Rhythmen und Melodien!
    OK, genug rumgeseiert (ich stamme aus dem Ruhrgebiet, you know?!
    Ich habe eine Interpretation, ich glaube aus Japan (watch their shoes!), von einer 7-köpfigen Gruppe (6 Frauen, ein Typ).
    Hör Dir das mal an, ich weine bei jeder Wiederholung!
    Es geht um “Inception” aus “Mombasa”!

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