Der Kult-Konstrukteur

Die Buchla-Story: Synthesizer und Controller für Kenner

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1982, San Francisco Exploratorium: Don Buchla mit einigen seiner revolutionären Musikinstrumente. (Bild: Jon Sievert)

Für Modular-Synth-Fans ist kaum ein Instrument so begehrenswert wie ein echter Buchla, und für Musiker, die mit Fingern, Schlägeln oder Gesten alternative Controller spielen, gilt das Gleiche. Don Buchla ist eine Legende: wegen seiner Synthesizer, die er seit 1963 entwickelte, aber auch wegen seiner MIDI-Controller und Live-Performances. Doch was genau macht diesen stillen Giganten der Musikindustrie so einzigartig? Fragen wir ihn doch einfach selber …

Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre machte man elektronische Musik ganz anders als heute. Bisher war die bekannteste Methode, neue Sounds zu entwickeln, die sogenannte „Musique Concrète“ gewesen. Zunächst modifizierte man dabei 78-RPM-Vinyl-Alben, später ging man dazu über, Töne und Geräusche, die von elektronischen Testgeräten erzeugt wurden, auf 1/4“-Magnetband aufzunehmen. Die Bänder zerteilte man sorgfältig in kleine Schnipsel und klebte diese dann wieder anders zusammen.

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Mit dieser Methode einige Minuten „taped music“ zu erschaffen, konnte Wochen, ja Monate dauern. Glücklicherweise begannen jedoch einige Gruppen visionärer Elektroniker mit der Entwicklung von Instrumenten, die das Musikmachen deutlich einfacher gestalten sollten.

Series 100

Einige der ersten Bestrebungen, die Techniken der Musique Concrète zu ersetzen, gingen vom San Francisco Tape Music Center aus, das in den frühen 60ern von Morton Subotnick und Ramon Sender gegründet wurde:

„Ramon und ich wollten keine Bänder mehr zerschneiden, sondern eine Art analogen Computer“, erklärt Subotnick. „Seit etwa 1959 oder 1960 verfolgten wir die Idee einer Black-Box zur Komposition. Komponisten sollten nicht mehr unbedingt in große Studios gehen müssen, sondern stattdessen ein erschwingliches Instrument in ihrer eigenen Wohnung haben, mit dem sie komponieren könnten. Wir hatten deswegen verschiedene Leute angesprochen, aber Don Buchla schien der Interessanteste von allen zu sein. Buchlas Synthesizer war der erste Schritt, um unsere Visionen wahr werden zu lassen. Damit konnte ich genau das tun, was ich tun wollte, und vieles mehr. Allerdings nahm er eine andere Form an, als ich zunächst gedacht hatte.“

Komponist Morton Subotnik: „Buchlas Synthesizer war der erste Schritt, um unsere Visionen wahr werden zu lassen. Damit konnte ich genau das tun, was ich tun wollte, und vieles mehr. Allerdings nahm er eine andere Form an, als ich zunächst gedacht hatte.“

„Zu dieser Zeit machte ich Musique Concrète mit Bandmaschinen“, erinnert sich Buchla. „Ich besuchte einige Konzerte im 321 Divisidero, dem alten San Francisco Tape Music Center. Dabei fiel mir auf, dass sie dort mehr Bandmaschinen hatten als ich: Ich besaß nur eine monofone Wollensak, während sie diese fantastische Drei-Spur-Ampex hatten. Sie machten Musik mit einer ganzen Armada elektronischer Geräte und so etwas wie Hewlett-Packard-Oszillatoren. Ich fragte: ‚Warum bauen wir eigentlich keine Musikinstrumente, die von vornherein als solche gedacht sind?’ Anscheinend war noch niemand auf diese Idee gekommen, zumindest nicht im Umfeld der Studios, die mit dem üblichen Elektronik-Wust ausgerüstet waren. Ich schlug vor, ein spannungsgesteuertes Instrument zu entwickeln, und sie willigten ein.“

Buchlas Methode, Synthesizer zu bauen, ist einzigartig. „Meine Entwürfe haben immer einen organischen, Anwender-orientierten Ansatz“, erklärt er. „Sie basieren eher auf Wahrnehmung als auf technologischen Erwägungen.“ „Die treibende Kraft bei Dons gesamtem Werk ist seine Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des Künstlers“, ergänzt David Kean, der Kurator der Audities-Stiftung in Calgary.

Kean, der Buchla-Geräte weltweit für Dance-Produktionen einsetzt, teilte seine Ideen mit Buchla, und das führte zu neuen Modulen. „Don Buchla ist ein Werkzeugmacher. Die besten Werkzeugmacher sind solche, die ihr Design nach den Bedürfnissen der Anwender richten. Form follows function. Außerdem ist Don selber Komponist, Musiker und Performer. Falls seine Entwürfe nicht durch seine eigenen Ansprüche an ein bestimmtes Stück Equipment, durch ein neues Konzept oder die Implementierung einer neuen Technologie geprägt sind, so doch zumindest durch Künstler, die ihm zeigen, wo deren Instrumente noch Schwachstellen haben.“

Don Buchlas Original-Analog-Synthesizer Series 100, der sich seit 1966 im Mills College, Oakland, Kalifornien befindet. Im Vordergrund sehen Sie ein Paar Model 112 Touch Controlled Voltage Source. Im linken Rack: zwei Model 140 Timing Pulse Generator ein Model 146 Sequential Voltage Source zwei achtstufige Model 123 Sequential Voltage Source, davon eines ein Prototyp zwei Model 110 Dual Voltage Controlled Gate ein Model 156 Control Voltage Processor zwei Model 180 Dual Attack Generator. Im Rack rechts: drei Model 106 Six-Channel Mixer ein Model 190 Dual Reverberator Model 124 Patchboard ein Model 160 White Noise Generator ein Model 111 Dual Ring Modulator ein Model 132 Waveform Synthesizer fünf Model 158 Dual Sine-Sawtooth Oscillator. (Bild: Bill ReitzelI)

Bereits Anfang 63 begann Buchla mit dem Entwurf seines ersten Modular-Synthesizers, wobei ihm seine Kentnisse in Physik und Elektronik sowie seine Erfahrungen beim Bau akustischer und elektroakustischer Instrumente zugute kamen. „Zum Thema Klang hatte ich eine sehr wissenschaftliche Einstellung“, sagt er. „Wir nannten es ‚Synthesizer’, weil wir mit den Elementen anfingen, die Klang ausmachen. Ich weiß, dass ‚Synthese’ heute etwas anderes bedeutet: ‚Imitation’. Aber damals war die korrekte Interpretation, einen Klang aus Basiselementen wie etwa Tonhöhe, Klangfarbe und Lautstärke aufzubauen. Wir arbeiteten von Anfang an mit Hüllkurvengeneratoren – und natürlich auch mit Oszillatoren, Filtern und spannungsgesteuerten Verstärkern, die ich damals ‚Gates’ nannte.“

Das Resultat dieser ersten Bemühungen war der Buchla 100, dessen meisten Module noch den kleinen Aufdruck ‚San Francisco Tape Music Center Inc.’ tragen. „Wir nannten ihn einfach ‚den Buchla’“, sagt Subotnick. „Don nannte ihn den ‚San Francisco Tape Music Center’, weil er dachte, dass wir damit an den Markt gehen würden, aber das wollten wir gar nicht. Später änderte er deshalb den Namen seiner Firma in ‚Buchla and Associates’ ab.“

Buchlas Model 219 Touch Keyboard bietet eine vieroktavige, berührungsempfindliche Tastatur aus Touch- Plates, zwei Joysticks, einige berührungsempfindliche Pads, diverse Regler und Schalter sowie 38-CV- [Steuerspannungs]- und Gate-Ausgänge. (Bild: David Kean, mit freundlicher Genehmigung der Audities Foundation.)
Und wo ist die Klaviatur?

Nun, genau genommen hat das Instrument sogar zwei, aber nicht in der üblichen Form. „Die Eingabe-Einheiten sind ein wichtiger Aspekt des Systems“, erklärt Buchla. „Es handelt sich dabei um Touch-Plates, berührungsempfindliche Platten – meist kapazitiv, in manchen Fällen auch Widerstands-empfindlich –, die auf verschiedene Arten kombiniert sind. Damals kursierte das Gerücht, erstmals veröffentlicht vom Rolling Stone [Magazin], ich hätte etwas gegen die üblichen Keyboards, und es hat sich bis heute gehalten.“

Subotnick geht noch weiter auf die berührungsempfindlichen Touch-Plates ein: „Eine der Einheiten hat zwölf Platten, die man gleich darüber stimmen kann. Wenn man möchte, erhält man so eine chromatische Skala. Jede Platte erzeugt drei Kontrollspannungen. Die andere Einheit hat 10 Platten mit je einem [Kontrollspannungs]-Ausgang. Wir haben sie oft eingesetzt, um die Lautstärken von Concrète-Bändern während der Wiedergabe zu steuern. Man konnte wortwörtlich zehn Loops mit den Fingern spielen.“

Don Buchlas zweite Generation modularer Synthesizer wurde von 1970 bis 1985 produziert und hatte eine deutlich höhere Funktionsdichte als die erste Generation. Zu den exotischeren Modulen zählten Multiple Arbitrary Function Generator, Programmable Complex Waveform Generator, Multiple Touch- Controlled Voltage Source, Stored Program Sound Source, Programmable Spectral Processor, Time Domain Processor, Quad Spatial Director und Source of Uncertainty. (Bild: Rick Smith, mit freundlicher Genehmigung der Audities Foundation.)

Series 200

Von 1966 bis 1969 bot Don Buchla modulare Synthesizer an, die auf seinem Series 100 basierten. 1969 verkaufte er die Rechte daran an CBS, die den Synthesizer-Markt jedoch völlig falsch einschätzten und die Buchla-Linie nach und nach auslaufen ließen.

1970 stellte Buchla Series 200 vor, die eine bessere Funktionalität und deutlich mehr Synthese-Power bot. Er baute zwischen 100 und 200 Einheiten dieses Systems, das für 2.000 bis 30.000 Dollar über den Ladentisch ging. Heute werden komplette Buchla-200- Systeme zwischen 15.000 und 50.000 Dollar gehandelt.

Buchlas Terminologie unterscheidet sich von der anderer Synthesizer-Hersteller. Die meisten anderen Synths haben beispielsweise „Filter“. Buchlas Series 200 hat hingegen das Model 296 Programmable Spectral Processor. „Es hat 16 Filterkanäle“, erklärt Buchla, „aber es deckt den Bereich eines 24-Kanal-Terz-Filters ab. Es handelt sich nämlich um ein konstantes Bark-Filter. In den Bereichen, in denen es ein größeres Durcheinander von Frequenzen und somit weniger Separation gibt, sind die Kanäle breiter.“ Bark? „Ja, genau. Bark ist eine nicht-lineare, psychoakustische Einheit für Frequenzen. Sie basiert auf Kurven wie etwa Fletcher-Munson für die Lautheit [subjektiv empfundene Lautstärke]. Barks sind in den Mitten schmaler und dafür in spektralen Extremzonen breiter.

„Jeder Kanal des Spectral Processor hat einen Hüllkurvenfolger, der sich hinsichtlich seiner Abklingzeit und Reaktion abhängig vom Spektralbereich modifizieren lässt. Man kann alles gleich kurz oder lang machen, die Längen können aber auch frequenzabhängig sein, sodass hohe Töne kürzer und tiefe Töne länger ausklingen, was wahrnehmungstechnisch am interessantesten ist. Wir haben auch jedem Kanal VCAs spendiert, sodass man die Envelope-Follower-Ausgänge der einen Hälfte des Spectral Processor mit den VCA-Eingängen der anderen Hälfte verbinden kann, etwa um das Spektrum einer Stimme auf andere Wellenformen zu übertragen.“ Buchla berichtet, dass dieser Effekt dem Vocoding sehr ähnelt.

In den späten 60ern und frühen 70ern versuchte die Audioindustrie recht unbeholfen, der Zukunftsvision „Surrond Sound“ den Weg zu ebnen. Don Buchla kannte sich schon bestens mit diesem Thema aus. „Zu dieser Zeit wurden meine Systeme bereits quadrofon, und fortan blieben sie es auch. Mein Quad-Ausgang fing sogar mit den Series-100-Systemen an, die schon etwas eher da waren. David Tudor war mein erster Quad-Kunde, und er kaufte sein System 1965.“ „In den frühen 70ern begann CBS, mich zu unterstützen. Sie zahlten für die erste Entwicklung, weil sie die Rechte am 100 erwarben, und sie sponserten auch die Entwicklung des 200. Ich hatte das einzige Studio der Stadt, in dem man quadrofon abmischen konnte. So kamen selbst die ganz wichtigen Jungs mit ihren riesigen Lastern, Pulten und allem möglichen Kram und warfen mir einige Kabel durchs Fenster herein, damit ich sie in mein System stöpselte, sodass wir automatisierte Quadro-Produktionen fahren konnten. Auf diese Art machte ich eine Menge Mixdowns: für CBS Records, aber auch zu meinem eigenen Vergnügen.

Don Buchla hegt auch liebevolle Erinnerungen an den Multiple Arbitrary Function Generator, verbunden mit einer Warnung an Sammler von Vintage-Equipment, falls diese noch auf eines der seltenen Exemplare stoßen sollten: „Das Model 248 Multiple Arbitrary Function Generator war deutlich komplexer als typische Stufen-Spannungsquellen. Man konnte dort für jede Stufe alle möglichen Daten eingeben. So ließen sich endlose Pulsketten erzeugen, Loops, sogar abhängig von bestimmten Bedingungen, und vieles mehr. Aber im Inneren des Model 248 gab es mehr als 100 Hochspannungs-CMOS-Logikschaltungen, die – zur damaligen Zeit – eine begrenzte, nicht vorhersagbare Lebensdauer hatten. Sie konnten innerhalb einer Minute hochgehen oder auch zehn Jahre lang halten.“

Lücken füllen

Mit einem Blick auf die Denkweise des Entwicklers fasst David Kean die Evolution der Buchla-Instrumente zusammen: „Don Buchla interessiert sich immer für neue Technologien und ist diesbezüglich stets bestens informiert. Sobald etwas Neues aufkommt, richtet er seine Aufmerksamkeit darauf, und manchmal gerät er geradezu aus dem Häuschen darüber. Seine Stärke liegt darin, Komponenten auf einfallsreiche und handwerklich korrekte Art zu kombinieren. Ich denke, genau das macht seine Entwicklungen so erfolgreich.

Nehmen wir etwa die Entwicklung von Series 100 zu Series 200: Der große Fortschritt beruht hier auf Erfahrungen. Don und die Komponisten und Musiker, die seine Series-100-Geräte nutzen, sahen genau, wo es Raum für Verbesserungen gab. Es gab neue Konzepte wie das Model 296 Programmable Spectral Processor, das aus dem Series-100-Modul Model 148 Harmonic Generator hervorging, welches im Grunde ein aktives Filter war. Das Model 296 ist wie ein grafischer Equalizer, der eine Kontrollspannung oder einen Puls innerhalb eines beliebigen Frequenzbandes ausspuckt.

Ich sehe die Series 200 als eine Perfektionierung und funktionale Erweiterung der Series 100 mit besseren Komponenten. Die Oszillatoren der Series 100 schwankten immer wie verrückt; die Oszillatoren der Series 200 sind hingegen sehr stimmstabil. Das liegt einfach daran, dass die Komponenten, die Don zur Verfügung standen, im Laufe von sechs, sieben Jahren so viel besser geworden waren.

Der nächste wirklich große Schritt waren die Instrumente der Series 500 und 300, bei denen es darum ging, die Series-200-Module mit Microcomputern zu steuern. Als die Computer klein und portabel genug wurden, als wir zum ersten Mal PDP-11s sahen – oder die PDP-Serie im Allgemeinen – und die kleinen MicroVacs, die in den späten 70ern und frühen 80ern aufkamen, hatte Don schon eine gute Ergonomie und gut klingende Series-200-Module. Aber er brauchte Patch-Fähigkeiten und ein Kompositionswerkzeug – ein Element, das man in der Series 200 sehr vermisste. Vor dem Model 248 Multiple Arbitrary Function Generator – auch bekannt als MArF – gab es in der Series 200 keinen Sequenzer, der über einen 16-Stepper mit vier generierten Kontrollspannungen hinausging. Der MArF war flexibler, aber er hatte keine Speichermöglichkeiten für die komplexen Muster, die damit realisierbar waren. Mit Series 300 und 500 hatte man plötzlich die Möglichkeit, den MarF durch einen Computer steuern zu lassen.

Nachdem die Computer auf der Bildfläche erschienen, geschah einiges. Ein wichtiger Punkt war die Definition der MIDI-Spezifikationen – ein serielles Interface, das wahnsinnig langsam ist. Zu dieser Zeit war Don gerade dabei, ein ähnliches System zu entwickeln, das Wideband Interface for Music Performance (WIMP). Wie MIDI hatte es eine 5-Pol-DIN-Buchse und ist im Buchla Thunder zu finden. Natürlich war WIMP sofort wieder gestorben, weil MIDI so populär wurde.“

Controller

„Nach der Series 700 änderten sich die Dinge schnell. Der Markt war voller Klangerzeuger, die man haben musste. Bob Moog formulierte es bei der NAMM 2000 treffend: ‚Synthesizer-Sounds werden zu etwas Alltäglichem werden, einfach zu einer Audioquelle.’ Anders gesagt: Es gibt genug Klänge, und es ist kein großes Problem mehr, an sie heranzukommen. Das Problem ist, Sounds zu kontrollieren.

Genau zu diesem Zeitpunkt hörte Don auf, Synthesizer zu bauen. Er begann mit dem Bau von Controllern, denn seinem Gefühl nach war es der größte Fehler der Entwickler zu ignorieren, dass man flexible Controller braucht, um der Flexibilität der Klangerzeugung gerecht zu werden. Wir haben diese ganzen tollen Möglichkeiten, neue Klänge zu schaffen; man muss sich nur diesen irren Kram ansehen, den man mit Reaktor machen kann: alte Synthesizer, aber auch deutlich esoterischere Dinge. Eine solche, zu allem fähige Soundfabrik über ein mechanisches 12-Noten-pro-Oktave-Binär-Ein/Aus-Orgel-Keyboard zu spielen, ist geradezu lächerlich. Das ist eine verrückte Idee.“

In Kombination mit einem Video-Monitor ermöglichte Don Buchlas Series 400 grafische Notation, Editierung und Sequencing. Sie kam 1982 heraus, ein Jahr früher als MIDI. (Bild: David Kean, mit freundlicher Genehmigung der Audities Foundation.)

„Das Tolle an einem Buchla Touch-Plate ist, dass es nicht nur auf Ein/Aus reagiert, sondern auch auf die vertikale Position auf der Taste sowie auf den Druck. Don will, dass dein Finger auf dieser flachen Oberfläche so viele Informationen übermitteln kann wie möglich. Dafür musste er in Kauf nehmen, dass die Musiker eine andere taktile Rückmeldung bekommen. Ich würde nicht sagen, dass sie schlechter ist, aber sie ist anders als bei einer Orgel-Tastatur, und von dieser ist jeder so stark indoktriniert, dass das Touch-Plate niemals populär wurde.

Don hatte beispielsweise folgende Vorstellung: ‚Für Klänge, die große Gesten erfordern oder davon profitieren können, sollten wir so etwas wie Blitze bauen. Man wedelt in einem ein Meter großen Bereich mit den Armen und löst dadurch die gewünschte Reaktion aus.’

Menschen machen alles Mögliche mit großen Gesten. Künstlerisch sind sie genauso wertvoll wie die minimalen Bewegungen, die man beim Spielen eines Keyboards macht. So erschuf Don den Lightning [Blitz] und zuvor den Thunder [Donner]. Thunder zielte darauf ab, jedem Finger eine Art Taste mit besonders langem Hub zu geben, auf der man herumspielen kann.

Als Nachfolger des 400 wurde der 700 das erste Buchla-Instrument mit MIDI. Er kam 1987, war 12fach multitimbral, bot konfigurierbare Oszillatoren, die subtraktive, additive und FM-Synthese beherrschten, und hatte einen Microcomputer mit eingebautem Display an Bord. (Bild: David Kean, mit freundlicher Genehmigung der Audities Foundation.)

Touché – Hybrid-Performance

In einem Artikel von 1986 namens ‚It Came from the Music Industry’ verunglimpften die Autoren Ted Greenwald und Jeff Burger den seltenen Buchla Touché. Der 8stimmige Synth mit Keyboard hatte 24 digitale Oszillatoren, analoge VCAs und VCFs sowie den 16-bit-Prozessor Texas Instruments 9900, auf dem FOIL (Far Out Instrument Language) lief: eine interaktive Musik-Software für Echtzeit-Anwendungen.

Der Touché „war eher für Performance optimiert als dafür, etwas für die spätere Wiedergabe zu produzieren, was man damals ‚Sequencing’ nannte“, wurde Buchla damals zitiert. Er ermöglichte es, ein Pattern, ein Riff, ein rhythmisches Element oder eine Melodie in Echtzeit aufzunehmen und dann während der Performance wieder einzubringen.

Buchlas erste Arbeiten am Touché begannen 78, und Rosenboom gesellte sich 79 hinzu. Es war ein Hybrid-Synth, der sowohl analoge als auch digitale Komponenten enthielt. „Als primäre Klangerzeugung nutzt er digitales, nichtlineares Waveshaping“, fährt Rosenboom fort, „das ein enormes Potenzial hat, wenn man es wirklich ausschöpft. In den Ausgangsstufen arbeiten auch analoge VCAs und VCFs. Im Touché hatte man das Beste beider Welten: präzise digitale Kontrolle und den wundervollen Klang von Dons analogen Gates. Es gab auch einen Complex Function Generator, mit dem man beliebig komplexe Kontrollspannungsverläufe generieren und 64 davon gleichzeitig ausgeben lassen konnte.“

Ende 1989 stellte Buchla den alternativen MIDI-Controller Thunder vor. Er basierte auf bespielbaren Membranen, die so angeordnet waren, dass sie zur Form der menschlichen Hand passten. Thunders Tasten registrieren Anschlagdynamik, Position und Druck und lassen sich individuell programmieren, um unterschiedliche Reaktionen zu realisieren. Er hat ein zweizeiliges 40-Zeichen–LCD, einen Slot für Speicherkarten und ein Betriebssystem, mit dessen Hilfe man beeinflussen kann, welche Rückmeldungen bei bestimmten Eingabegesten ausgegeben werden. (Bild: David Kean, mit freundlicher Genehmigung der Audities Foundation.)

Buchla spendierte dem Touché vier Audio-Ausgänge. „Es ist auch ein komplexes System zur Phasenmodulation an Bord“, berichtet er. „Man konnte Sounds nicht nur im Quadrofonie-Raum platzieren, sondern sogar ein Pseudo-Stereo-Signal generieren, ähnlich den rotierenden Lautsprechern eines Leslie-Kabinetts. Der Touché hatte einen ziemlich fetten Sound.“

Darüber hinaus war er mit einigen eindrucksvollen Performance-Funktionen ausgestattet. Zunächst war sein Keyboard-Split fließend. Ein anderes Touché-Feature beeindruckte Buchla aber noch stärker: „Wenn man ein neues Patch wählte, konnte man eine Übergangszeit vom alten Patch zum neuen definieren. Dann konnte man weiter spielen, und der Touché blendete automatisch hinüber zum neuen Patch. Soweit ich weiß, kann das kein anderer Synthesizer.


Buchlas Background

Bevor er Synthesizer baute, war Don Buchla Physiker und Physiologe. Er spielte Klavier, Gitarre und Mridangam, eine südindische Trommel. „Ich kam zur Elektronik, weil ich mich mit Physik beschäftigte und all meine Test-Instrumente selber baute“, erinnert er sich. „Dann wechselte ich zu Physiologie und beschäftigte mich intensiv mit Satelliten und solchen Dingen, und auch dafür brauchte ich eine Menge Elektronik. Es geschah alles ganz natürlich. Musik war schon immer mein Ding, aber erst in den frühen 60ern fanden meine Interessen für Elektronik und Musik zueinander.“

Angesichts seiner einzigartigen Synthesizer war ich neugierig, ob er schon einmal mit einem modifizierten Klavier gearbeitet hatte – wie John Cage. „Oh, ja. Das habe ich“, gibt er zu. „Ich kannte Cage aber gar nicht. Meine Eltern hatten nicht viel Geld, und wir konnten uns keinen Klavierstimmer leisten. Das Klavier klang sowieso schon ziemlich schräg. Also dachte ich mir, dass ich es auch noch ein wenig mehr umbauen könnte. Es war nicht gerade ein ‚modifiziertes Klavier’, aber ich habe schon ziemlich seltsame Dinge damit angestellt. Ich hatte eine gute Lehrerin, aber dann weigerte sich mein Vater, mir weitere Stunden zu bezahlen. Sie unterrichtete mich umsonst, und so nahm der Wahnsinn weiter seinen Lauf.“

Buchlas Performance

Zu Wenige hatten die Gelegenheit, seine Musik zu hören, aber Don Buchla ist ein phänomenaler Performer, der weltweit auftrat.

„Dons Musik ist genauso außergewöhnlich wie seine Instrumente“, sagt Synth-Restaurator Rick Smith, „aber nur die Wenigsten haben sie jemals gehört. Das ist schon eine Erfahrung. Ich hoffe, dass er einiges davon veröffentlicht.

Das erste Mal, als ich das ich das große Vergnügen hatte, einer Live-Performance Don Buchlas beizuwohnen, hörte ich ihn bei der CyberArts International Conference in Los Angeles, Kalofornien, im September 1990. Er spielte im großen Ballsaal des L.A. Biltmore Hotel hypnotische elektronische Musik, nur auf einem Thunder-MIDI-Controller. Gleichzeitig bahnten sich etwa 20 Kostümierte in einer langen Reihe langsam ihren Weg durch mehrere Hundert Zuhörer. Gegen Ende des Stückes, als die Musik langsam ausblendete, näherten sich die Gestalten dem Ausgang. Buchla zog sich die gleiche Maske auf wie die anderen, reihte sich am Ende der Schlange ein und paradierte aus dem Ballsaal, während das Publikum stehend applaudierte. Es war atemberaubend”.

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Danke für diesen sehr guten und fundierten Bericht! Weiter so…

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