Die Fusion zwischen Gitarre und Keyboard

Cymbals Eat Guitars – Keyboarder Hamilton

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Eine New Yorker Indie-Band, gefühlt einem Zeitfenster der 1990er entsprungen, spielt in einem der raueren Clubs in St. Pauli. Das Ungewöhnliche: Keyboarder Brian Hamilton schickt seine Synthesizer über zwei alte Röhrenverstärker und schafft verzerrte Klangkaskaden mit selbstgebauten Fuzz-Pedalen, ohne dabei mit dem Gitarristen zu konkurrieren. Wir haben Hamilton beim Gig in Hamburg befragt.

Cymbals Eat Guitars Band1
Cymbals Eat Guitars, v.l. – Sänger und Gitarrist Joseph “Joe” D’Agostino, “Fuzz”-Keyboarder Brian Hamilton, Bassist Matt Whipple und Schlagzeuger Andrew Dole (Bild: Cymbals Eat Guitars)

 

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Eisregen peitscht durch die breiten Straßen, gefühlt metertiefe Pfützen säumen den Gehweg und füllen die Untiefen einzelner fehlender Pflastersteine. Das Molotow gilt als Urgestein, einer der Clubs zwischen Indie-Rock und Punk. Am Abend spielt die New Yorker Indie-Band Cymbals Eat Guitars. Es wirkt wie einer von unzähligen kleinen Gigs einer Band aus Übersee, unterwegs zwischen Kaschemme und angesagtem Live-Club. Keyboarder Brian Hamilton hat sein Setup vor der Bühne aufgebaut; die Bühne misst kompakte zehn Quadratmeter, mit Equipment wäre nicht genug Platz gewesen für alle vier Musiker. Hamilton baut ein nahezu abenteuerliches Setup auf, gemessen am gängigen Keyboarder-Fuhrpark: Der Musiker spielt seinen Korg MS-2000-Synthesizer über einen alten Ampeg B-15-Bassverstärker, sein Clavia Nord Stage über einen Ampeg Reverberocket-Gitarren-Combo, beides färbende Röhrenverstärker. Die Exemplare hat Hamilton ausgewählt, weil das Ergebnis klangästhetisch für das jeweilige Keyboard funktioniert.

Auch abseits der Verstärker ist Hamilton eher ein untypischer Keyboarder: Er entwickelt Bodeneffekt-Pedale für Keyboarder und Gitarristen unter dem Label Smallsound/Bigsound, Schwerpunkt sind Fuzz-Sounds, jene mit scheinbar unkontrollierten Zerr-Texturen, die im kollektiven Gedächtnis zunächst an Jimi Hendrix erinnern. Das Wort „Fuzz“ beschreibt das Ergebnis lautmalerisch bereits hinreichend, gelegentlich wird der Klang im Englischen auch als das „Summen von Bienen in einer Metalldose“ kolportiert. Für sein Keyboard-Setup hat Hamilton ein eigenes Effektboard im Gepäck, das neben Verzerrung auch Delay und Hall beherbergt – ein ungewöhnlicher Ansatz. „Ich nutze auch die Sättigung der Röhren-Gitarrenverstärker.“

Cymbals Eat Guitars Effekte Ketterer
Keyboard-Effektboard, das neben selbstgebauten Fuzz-Pedalen – darunter dass Smallsound/Bigsound Mini – auch Echo (Line 6 DL4 Delay Modeler, Boss Digital Delay DD-5) und Hall (Boss Digital Reverb RV-5) beherbergt (Bild: Nicolay Ketterer)

Sein Rollenverständnis innerhalb der Band unterscheidet sich auch von dem eines „normalen“ Keyboarders: Er spielt gedanklich mehr wie ein Gitarrist und hat sein Spiel reduziert, um sich in den Kontext einzupassen. „Unser Gitarrist Joe spielt einen ‚dichten‘ Teppich aus verschiedenen Elementen. Daher wollte ich ‚sparsamer‘ spielen, Dinge dort einstreuen, wo sie wichtig sind.“ „Sparsam“ ist ein relativer Begriff: Hamilton, der eine Klavier-Ausbildung im Bereich Jazz hat, spielt gelegentlich äußerst komplex, allerdings mit Blick auf das Gesamtbild.

Wie kam er dazu seine Keyboards über Röhren-Verstärker zu spielen? „Als ich mit Keyboards angefangen habe, stöpselte ich sie direkt ins Mischpult – damals wusste ich es auch nicht besser.“ In seiner ersten Band dann, ging es laut zu – damals hat er einen Roland Jazz Chorus-Combo gespielt, der gängige Transistor-Verstärker für Keyboards. „Der bot aber kein ausreichendes Durchsetzungsvermögen.“ Also entdeckte er Röhren-Verstärker, die – trotz nominal geringerer Leistung – im Bandkontext besser funktionierten. Auch die Klangästhetik gefiel ihm.

Ein üblicher „Problemherd“: Keyboarder decken über die gesamte Klaviatur einen breiten Frequenzbereich von Bass bis Höhen ab. Durch die „Klangformung“ eines Röhrenverstärkers samt Röhren, Übertragern und begrenzendem Lautsprecher werden Tiefbässe und Höhen gefiltert – eine eigene Klangästhetik entsteht. Über einen Röhrenverstärker gespielte Sounds gliedern sich, wegen des Filters und der natürlich Zerre, besser in das Bandgefüge neben Bass und Gitarre ein, meint Hamilton. „Ein ganz cleaner Sound im vollen Dynamikumfang würde sich zwar deutlicher aber auf unangenehme Art vom Gesamtsound absetzten. Außerdem nutze ich die Amps um den Keyboards mehr Gitarrenästhetik zu verleihen.“

Seine Klänge – etwa den mitgelieferten Wurlitzer-Sound im Nord Stage – hat er besonders im Bassbereich ausgedünnt, damit sie besser mit der Gitarre harmonieren. In der Band funktioniere die Herangehensweise gut. Welcher Röhrenverstärker sich weniger für Keyboards eignet? Früher hat er mal einen Fender Twin-Combo gespielt, der habe mit seinem ausgeprägten Höhenspektrum unangenehm und harsch geklungen.

Die Aufteilung der beiden Synthesizer auf getrennte Verstärkern verwendet er erst seit Kurzem: Jetzt kommen beide Instrumente besser zur Geltung und er kann die Sättigung der Verstärker jetzt gezielter nutzen. Ob Probleme durch die verschiedenen Impedanzen und Ausgang-/Eingangsempfindlichkeiten von Keyboards und Amps entstehen? Durch den hohen Pegel des Line-Signals übersteuern die Sounds am Verstärker deutlich früher, meint Hamilton, er sendet entsprechend weniger Pegel. Wegen der Impedanz hat er verschiedene Wege ausprobiert, gar eigene Übertrager-Module gebaut, um sie anzupassen, wie es auch DI-Boxen oder Re-Amping-Module anbieten – das habe aber nicht wirklich viel am klanglichen Ergebnis verändert. Was er stattdessen macht: „Ich schicke die Synthesizer durch meine Effektpedale und passe den Sound dort entsprechend an. Dadurch haben die Synthesizer am Ende der Signalkette der ‚Gitarreneffekte‘ automatisch die passende Impedanz.“

 

Cymbals Eat Guitars Keyboard Band Ketterer
Aufgrund der kleinen Bühne hat Keyboarder Brian Hamilton im Publikumsbereich Quartier bezogen (Bild: Nicolay Ketterer)

Hamilton spielt u.a. den Korg MS-2000-Synthesitzer, den er seit zehn Jahren besitzt, was auch die Vielzahl an Sticker auf der Oberfläche bezeugen. „Das LCD-Display funktioniert nicht mehr richtig, es spuckt nur noch zufällige Zeichen aus. Wenn ich die Programme wechsle, habe ich keine Ahnung, wohin es tatsächlich springt.“ Aber das Keyboard kennt er sehr gut. Wie sich das Clavia Nord Stage anfühlt, für ihn, der ursprünglich vom Piano kommt? Er mag die Tasten nicht, erzählt er. „Es sind Orgel-Tasten, ohne Gewichtung oder Hammer. Ich schlage die Tasten ganz anders an als bei einem akustischen Piano, aufgrund der Art, wie sie sich anfühlen.“ Bei einem Klavier habe man den Ton sozusagen „in den Fingerspitzen“, bei einer ungewichteten Tastatur muss man andere Wege finden, um sich die Kreativität beim Spiel zu erhalten, meint er. Mit dem Nord Stage sei es hilfreich, die fehlende „Action“ der Tastatur durch die Übersteuerungstexturen am Verstärker aufzuholen, was Spielgefühl und Inspiration angehe.

Beim Bau eigener Fuzz-Pedale wurde er durch die verschiedenen Fuzz-Übersteuerungstexturen inspiriert und hat dann Schaltkreise vorhandener Pedale modifiziert. „Ich wollte sehr spezielle Sounds, in Richtung der Band My Bloody Valentine und deren Gitarristen Kevin Schwartz, aber auf elektromechanischen Keyboards wie einem Rhodes, was ich früher viel gespielt habe.“ Wie er Fuzz-Klänge für sich definiert? „Was mir als erstes in den Sinn kommt: Ein warmes Handtuch, ein bisschen kratzig vielleicht, ein Wollhandtuch, aber es gibt unzählige Varianten, das erstaunt mich immer noch.“ Der Klang in seinem Kopf? „Den habe ich noch nicht exakt erreicht – das bleibt eine Art Inspiration beim Pedalbau.“ Auf seinem Board sitzt an erster Stelle eines seiner Fuzz-Pedale, auf dem sogenannten „Rangemaster“-Fuzz basierend, „das hat aber etwas mehr Bass als die Vorlage“.

Am Abend sind rund 80 Zuschauer gekommen, erfreuen sich an der rauen und doch filigran gespielten Indie-Musik, in der verzerrte Synth-Melodien und Texturen mit der Gitarre in einem Teppich verwoben werden und angezerrt verschmelzen. Dabei ist schwer zu identifizieren, welche Signale von Keyboards bzw. Gitarre kommen, trotzdem bildet das Ergebnis ein „funktionierendes“ Chaos, grob irgendwo zwischen den Pixies, Pavement oder Dinosaur Jr. angesiedelt, mit teils aggressiven Gesang und überraschenden harmonischen Song-Strukturen.

Beim Thema Strukturen: Ob Hamilton findet, dass klassischer Klavier-Unterricht Kreativität unterbinden könne? „Ich denke, das kann passieren – klassischer Unterricht lehrt Herangehensweisen, die einem nicht gerade dazu ermutigen, eigene Kreativität zu entdecken. Ich habe extrem virtuoses Spiel von sehr jungen Leuten gehört! Die spielen das einfach runter, auf eine Art, die keine echten Emotionen vermittelt. Wenn man so anfängt, wird man musikalisch ‚programmiert‘, so zu denken,“ vermutet er. Hamiltons Rat an experimentierfreudige Keyboarder? Es brauche Zeit, sich von den Beschränkungen frei zu machen. „Das ist auch bei manchen Gitarristen nicht anders.“ Man soll mutig sein und Verstärker und Pedale der Gitarristen ausprobieren. „Probier aus, wie ein Tubescreamer-Verzerrer oder ein Death-Metal-Distortion-Pedal klingt. Lass dich nicht davon abhalten, nur weil nicht ‚Keyboard‘ drauf steht.“

 

www.cymbalseatguitars.com

www.smallsoundbigsound.com

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