Mein erstes Hardware-Plug-in

Rotes Kistchen: CM-MIDI KissBox

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Was haben der vor Fett triefende legendäre Sampling-Synthesizer-Bolide Korg DSS-1, ein Korg DW-8000, ein Korg EX-800 und eine Yamaha TX21Z gemein? Sie sind die ersten Synthesizerschätzchen der Digitalära, die sich mit der Hilfe eines kleinen, roten Kistchens mit dem charmanten Namen CM-MIDI KissBox bequem in eine moderne DAW-Umgebung einbinden lassen. Ganz genau so, als seien sie VST-Plug-ins …

(Bild: Viktoria Gurtovaj)

Die Einleitung war glatt gelogen! Mein erstes Hardware-Plug-in war der M-Audio Venom, der durch einen als VST-Plug-in realisierten Editor namens VenomEd bequem fernsteuerbar wurde. Aber wie klingt denn bitte »Mein zweites Hardware-Plug-in!« als Überschrift? Eben.

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Außerdem: Hardware-Synthesizer per VST-Protokoll in die eigene Sequenzer-Umgebung einzubinden ist ein alter Hut. Das funktioniert beispielsweise schon seit Jahren mit dem Access Virus Ti sehr gut. Trotzdem ist die Idee nach wie vor verlockend: alle Parameter im direkten Zugriff auf dem DAW-Bildschirm. Sounddesign bequem mit Maus, Tastatur und Masterkeyboard, wovor man ja ohnehin meistens sitzt.

Im Idealfall speichert man also alle Einstellungen, auch die Sounds der externen Klangerzeuger, bequem als Song in Cubase, Sonar, Samplitude oder Studio One ab. Leider ist diese Methodik mitnichten Standard in der Welt moderner Studioergonomie. Nun aber gibt es Abhilfe. Sie kommt aus einer kleinen und umtriebigen Firma in den Niederlanden, die sich im Hauptfeld um Spezialitäten rund ums Netzwerk im MIDI-Verbund kümmert. Bisher ist die Firma KissBox vor allem für ihre DMX-Netzwerkprodukte in der Lichtanlagenszene bekannt, aber das könnte sich sehr bald ändern …

Sampling-Synthesizer auf Stereoiden − Meet the DSS-1

Aber wir stecken mitten in einem Special über Samplingtechnologie, also erzählt dieser Report die Geschichte, wie ich es schaffte, meinem betagten, aber klanggewaltigen Korg DSS-1 neues Leben einzuhauchen. Lange Zeit stand der 19 (!) Kilo schwere Digital-Analog-Hybride, der mir von meinem Freund & Kupferstecher Stefan Schrom aka Big Chief Electric vorzeitig in die treuen Producerhände vererbt wurde, dank eines defekten Floppylaufwerks ungenutzt im Synthrack. Ganz unten selbstverständlich, damit der ganze Turm nicht unter dessen Gewicht umstürzt. Die Gerüchte, dass die Korg-Ingenieure im Erscheinungsjahr 1986 einen geheimen Deal mit der Orthopäden-Innung hatten (s. »Love The Machines«, S&R 12.2009), konnten bis heute nicht bestätigt werden. Vielmehr ist es so, dass die üppige Hybridschaltung des DSS-1 sich über den gesamten Innenraum des riesigen Gehäuses erstreckt.

Perfektes Team: KORG DSS-1 Hybrid Sampling Synthesizer, Kissbox CM-MIDI und VSTizer-Plug-in in Harmonie (Bild: Viktoria Gurtovaj)

Was ist da los? Nun, grundsätzlich handelt es sich beim DSS-1 um einen weithin unterschätzten 12-Bit-Sampler mit 32/48 kHz-Abtastung und einigen bis heute in dieser Kombination einzigartigen Features. Äußerlich in einer Linie mit dem ebenfalls unterschätzten DS-8 sowie den populären DW6000/8000- und Poly-800II-Synthesizern verwandt, kann er als das Flaggschiff der Korg-Familie jener Phase angesehen werden. Er war als Antwort auf Geräte wie Akais S612, Sequential Circuits Prophet 2000/2002 oder dem E-mu EMAX gedacht, schlug diese aber mit seinen Science-Fiction-Features glatt tot: Ein aufwendiges analoges, 24-dB-fähiges VCF mit bis zu 16 (!) verstimmbaren Oszillatoren im Unisono-Modus, Waveform Drawing (per Slider), Bitreduction, EQ, eine digitale Delayline und last but not least die Möglichkeit, Grundwellenformen mit bis zu 128 Sinuswellen in einem Offline-Modus per Additiver Synthese herzustellen, waren in dieser Kombination am Markt Alleinstellungsmerkmale für Musikproduzenten und Sounddesigner.

Das im DSS-1 verbaute Filter (NJM-2069) gilt nach wie vor unter Kennern als legendär und wird gern mit Moog-Filtern verglichen. Es wurde übrigens auch im Poly 800 und in der DW-Serie verbaut, wobei der DSS-1 aber als einzige Maschine wahlweise 12 dB oder 24 dB schalten kann. Und in der Tat: Brutal tiefe Bässe oder Flächen von der Wärme und Urgewalt eines Jupiter-8 oder Moog sind mit dem DSS-1 so gar kein Problem.

Wo ist meine Brille?

Problematisch dagegen ist das verflixte Floppylaufwerk. Es ist zu laut und geht eigentlich immer irgendwann kaputt. Davon abgesehen haben die meisten User im Jahre 2016 auch keine Begeisterung mehr übrig für die Mitte der 80er so beliebte Sportdisziplin Discjuggling oder das Herumhangeln in komplexen Menus in zweizeiligen Displays. Versteht mich nicht falsch, man kann verhältnismäßig gut mit einem DSS-1 arbeiten, weil die Menus extrem logisch aufgebaut sind und das Gerät über einen Exit-Button verfügt. Wer in den 90ern ein MIDI-Studio hatte, findet den DSS-1 sogar recht bedienbar. Dank EPROM muss man beim DSS-1 noch nicht mal ein OS booten. Nichts desto trotz: Wir haben 2016! Zeit also für ein Upgrade: VSTize me, Scotty!

Kiss a Box today!

Das kleine, rote Kistchen aus schick gebürstetem Aluminium verbreitet mit seiner kühlen Oberfläche und stabilen Verarbeitung souverän Vertrauen in Technik. Im Lieferumfang des Kartons befinden sich die CM-MIDI KissBox, ein USB-Stick mit sämtlichen Treibern und Manuals sowie ein Netzteil, welches an den USB-Port des CM-MIDI gesteckt wird. Letzteres dient zurzeit lediglich der Stromanbindung, denn Daten werden über 2 x sogenannte Endpoints an 3 x MIDI-Ports und LAN übertragen. Der Anschluss geht denkbar schnell vonstatten. Normalerweise wird man die Kissbox in der Nähe seines Synthesizer-Racks aufstellen und die Verbindung zum Computer über ein LAN-Kabel herstellen. Auf diese Weise bleiben die manchmal anfälligen MIDI-Kabel kurz, und es sind sehr lange Kabelstrecken mit weniger als 1 ms (!) Latenz möglich.

OOMPH! Mit insgesamt 8 x NJM-2069-VCFs, die von einer komplexen Sampling-Engine gefüttert werden, eine der aufwendigsten Schaltungen die Korg-Ingenieure je verdrahtet haben – 16 analoge Oszillatoren gleichzeitig sind kein Problem. (Bild: Viktoria Gurtovaj)

Doch erst einmal steht dem geneigten Keyboard-Wizard einiges an IP-Konfigurationswahn bevor: Auf jeweils ca. 20 Seiten erklären die sehr ausführlichen Handbücher zum VSTizer DSS-1 und der CM-MIDI-KissBox auf sinnstiftende und unterhaltsam geschriebene Weise die Netzwerkkonfiguration. Es geht um Subnetzmasken, Portnummern und IP-Adressen. Bonus: Am Ende der Lektüre kann der geneigte Leser dann auf jeden Fall in der hartgesottensten Runde von IT-Spezialisten ein Saufgelage mit Würde und Eloquenz überstehen.

Die Software

Zur Verbindung mit dem DSS-1 müssen mehrere Programme installiert werden. Zum einen der sogenannte KissBox-Editor, mit dem das rote Kistchen einmalig konfiguriert wird. Danach installiert man den VSTizer DSS-1, der als 32- und 64-Bit-VST-Plug-in vorliegt, und seine Standalone-Variante VSTizer Runner. Die Einstellung von MIDI-Kanälen kann man sich sparen, denn die komplette Kommunikation läuft über LAN/RTP-Midi/SysEx ab. Dabei erkennen verschiedene VSTizer-Varianten ihre entsprechenden Geräte: Zurzeit gibt es VSTizer-Versionen nur für den Korg DSS-1, DW-8000, EX-800, Yamaha DX21, TX81Z und die Behringer S1-Digitalpatchbay, weitere sollen aber folgen. Es existiert bereits eine spezielle VSTizer-Version für den recht neuen rekonfigurierbaren Horus DSP-Synthesizer, eine äußerst interessante Eigenentwicklung von BEB im Eurorack-Format.

Gesagt, getan. Ich öffne in Samplitude X2 auf einem leeren Kanal den VSTizer DSS-1 als VSTi. Das grüne »Connect«-Lämpchen zeigt mir nach ca. 1 Sekunde an, dass es mit meinem DSS-1 Kontakt aufgenommen hat und Bingo! Um hier nicht den Rahmen zu sprengen, fasse ich mich nun kurz: Mit dem VSTizer DSS-1 kann ich VST-Bänke mit kompletten DSS-1- Soundsets (Systems genannt) inklusive der Program-, Sound- und PCM-Parameter über MIDI in den Korg DSS-1 senden oder empfangen. Einmal geladene Patches kann ich so bequem in meiner DAW am VSTizer parametrisieren.

Im Vergleich zur fummeligen Arbeitsweise der 80er direkt am Gerät und dem kleinen blauen LCD-Screen fühlt man nun ganz deutlich einen enormen Fahrtwind bei der Klangsynthese. Was vorher Minuten brauchte, gelingt nun in Sekunden, und wer gar ein NKS-kompatibles NI Kontrol-S-Keyboard sein Eigen nennt, kann den VSTizer in Komplete Kontrol einladen und sich blitzschnell ein Custom-Mapping für die wichtigsten Funktionen seines externen Hardwareboliden anlegen.

The Future. Together. Now!

Das KissBox-Konzept ist eine rundum überzeugende Angelegenheit, die ganz sicher Schule machen wird. Nur eine Frage bleibt: Wie weit fliegt so ein Floppy-Laufwerk eigentlich, wenn ich es mit ganzer Kraft aus dem Fenster werfe?

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