Sound der Sixties

Der große Vergleich: Fender Rhodes oder Bösendorfer?

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Eigentlich war es alles gut gemeint, als ein gewisser Harold Rhodes in den 60er-Jahren einen transportablen Ersatz für das akustische Klavier erfand. Aber sein elektromagnetisches Piano mit diesen dünnen Klangzungen, Pickups und passiver Elektronik … ein Klavier? Nun, nicht wirklich … Aber wo steht geschrieben, dass man auf so einem Instrument klassische Literatur intonieren muss? Richtig, denn einige Jazz- und Soulmusiker dachten damals: »Geniales Teil! Muss man halt nur das richtige Zeug drauf spielen.« Der Rest ist Geschichte: Bis heute ist das Fender Rhodes für Soul, Funk und Jazz der Sound schlechthin.

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(Bild: Jörg Sunderkötter)

Und es gibt noch einige andere Beispiele für Instrumente aus dieser Zeit, die ursprünglich für ganz andere Zwecke erfunden wurden. So sollte die Hammond Orgel vornehmlich sakrale Musik wiedergeben, ein Clavinet eher barocke Klänge. Bleiben wir aber kurz beim Piano − und stolpern damit mitten in einen Glaubenskrieg, der vor gar nicht so vielen Jahrzehnten so heiß lief wie die PA bei einem AC/DC-Konzert.

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Schon in den frühen 60er-Jahren, als wir Organisten allmählich zu Keyboardern mutierten und Leuten, die noch mit einem Rohrstock auf den Fingern Klavier spielen gelernt hatten, allmählich der brave Seitenscheitel verrutschte, war die Frage weniger: Nehmen wir den Bösendorfer oder den Steinway mit auf Tour? Tja: Wenn man nicht zufällig Elton John war, hieß die Alternative eher: Rhodes oder Wurlitzer? Letzteres, vor allem von Supertramp-Tastenfex Rick Davies in die Kult-Sphäre gewuchtet, kam für viele Musiker weicher und glockiger rüber, während dem Rhodes eher ein etwas blumigerer, zuweilen knarziger Sound zu entlocken war. Aber mit einem echten Klavier hatten beide so viel zu tun wie ein Feuerwerk mit einer Pechfackel.

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DER STEINWAY UNTER DEN E-PIANOS Das Fender Rhodes Suitcase Piano ist ohnehin berüchtigt für seinen vollen Sound. Aber ein EightyEight mit zusätzlichen Satellitenboxen, dazu noch in mint condition wie dieses Exemplar des eboardmuseums in Klagenfurt − das hat absoluten Seltenheitswert. (Bild: Jörg Sunderkötter)

Kein Wunder, denn Mister Verzicht stand am Anfang ihres Produktlebens: Das erste Rhodes wurde bekanntlich aus alten Flugzeugteilen zusammengeschraubt. Gleichwohl fraß sich der Klang dieser Substitute in die Herzen ganzer Musikergenerationen, also hielt man auch daran fest, als es längst Alternativen gab: Noch heute soll es Leute geben, die ihr Rhodes am Geruch erkennen, der ihnen nach vielen Jahren on Tour aus den Tiefen der jahrzehntealten Mechanik entgegenschlägt.

Aber was − außer seinem Geruch − ist eigentlich so besonders am Fender Rhodes? Zum einen ist es der simple Aufbau, der es deutlich weniger anfällig macht als zum Beispiel das Wurlitzer. Die Tastaturmechanik, wenn man davon überhaupt sprechen kann, ist im Prinzip eine Wippe, die einen Hammer gegen eine Klangzunge knallen lässt. Wie stark, das lässt sich mehr oder weniger sicher über die Anschlagstärke dosieren. Und tatsächlich nennen die meisten Musiker die große Dynamik hinsichtlich der Ausdrucksmöglichkeiten über die Klangfarbe.

Hier ist das Rhodes unschlagbar, denn spielt man es sachte an, produziert es einen fast sinusartigen Ton, der sich mit höherer Anschlagstärke zu einem knarzigen, fast angezerrten Sound verdichtet. Das trifft grundsätzlich für alle Modelle zu, und doch klingt kein Rhodes wie das andere. Denn je nach Intonation kann es mittig, wummerig, knochig und auch zart-glockig klingen, womit eine weitere Stärke genannt wäre. Nun, es braucht schon einiges an Erfahrung, um ein Rhodes premiumverdächtig zu justieren, was man am besten Experten (siehe Bericht ab S. 78) überlässt. Aber im Prinzip kann man sein Rhodes so tunen, wie es einem gefällt.

Der Sound des Rhodes

…wird durch dessen sogenannte »asymmetrische Stimmgabel« erzeugt. Diese Konstruktion sorgt für ein ganz spezielles Abkling- verhalten: Nach dem Anschlag fällt die Amplitude zunächst rapide ab, aber dann wird der Dämpfungsfaktor schnell niedriger, wodurch der Ton in der Sustain-Phase relativ lange stehen bleibt.

Wenn man die Tasten härter anschlägt, schwingt die Stimmgabel stärker aus, und man hört eine Verzerrung: eine wichtige Komponente des sahnigen, schmutzigen Sounds, für den man alte E-Pianos liebt. Die Stimmgabel wird durch eine Klavier-ähnliche Hammermechanik angeschlagen, was dem Sound in der Einschwingphase hohe Obertöne beschert. Auch bei sanftem Anschlag gehen diese Obertöne nicht in der Verzerrung der Tonabnehmer unter. Das sorgt für den hellen, glockigen Ton, für den das Rhodes berühmt ist und der es von anderen E-Pianos unterscheidet, deren Klangerzeugung auf Metallzungen basiert.

IM VERGLEICH ZUM RHODES SIND BESONDERS DIE HÖCHSTEN TÖNE DES WURLITZER ZIEMLICH KURZ UND PERKUSSIV.

Beim Wurlitzer

…wird der Ton im Gegensatz zum Rhodes durch eine Metallzunge (engl.: reed) erzeugt, die auch hier durch einen Hammer angeschlagen wird. Sie ist leichter als der Stimmstab des Rhodes, gibt aber weniger Sustain. Außerdem ist das Stimmen eines Wurlitzer eine Qual. Das Sustain des Wurlitzer ist insgesamt kürzer. Im Gegensatz zum Rhodes nimmt der Dämpfungsfaktor nach dem Attack nicht ab, sodass der Ton hier nicht so lange steht. Im direkten Vergleich zum Rhodes sind besonders die höchsten Töne des Wurlitzer ziemlich kurz und perkussiv.

Wie beim Rhodes gibt es auch vom Wurlitzer etliche Modelle, die je nach Baureihe unterschiedlich klingen können, so erklärt uns Vintage-Keyboard-Experte Tom Wauch (electric-piano-service.de). Am meisten bekannt und auch verbreitet ist sicher das Wurlitzer A-200. »Viel schöner und irgendwie weicher«, so beschreibt es Tom, » klingt das ältere Modell A-140b, weil es eine andere Verstärkerschaltung hat.«

Aber auch den deutschen Hersteller Hohner beschäftigte das Thema »E-Piano«. Das Hohner Electra Piano ist irgendwie eine Mischung aus Wurlitzer und Rhodes und fand aufgrund des Heimklavier-Konzepts wohl nicht die Beachtung, obwohl es einen tollen Sound hat. Es klingt insgesamt etwas lieblich, aber auch hier ist es so: Hat man den Zugang gefunden und setzt es im richtigen Song ein, dann geht die Sonne auf.

Mehr Verbreitung bei Bands fand das Pianet T, da es als kleines Keyboard konzipiert wurde, das sich mit einem flachen Deckel für den Transport sicher verschließen ließ. Dennoch sollte man sich von den handlichen Maßen des Instruments nicht täuschen lassen, denn es wiegt deutlich mehr, als man denkt. Alle, die besondere Piano-Sounds suchen, welche sich von Rhodes und Wurli abheben, sollten also beim Pianet T nicht gleich die Nase rümpfen.

Superstition took The Long Way Home.

Aus Sicht heutiger Sampling-Bibliothekare erst recht ein gewaltiger Schuss neben das Tor war Hohners Clavinet D6. Letztlich war auch das ein Versuch, ein tragbares Instrument zu erfinden, das, sagen wir mal so: zumindest ein wenig mehr nach Klavier klang als eine Hammond. OK, cooler Sound, aber dafür auf das E-Piano verzichten? Und spätestens, als Stevie Wonders Superstition zum Take The Long Way Home für das D6 wurde, stellte sich mancher Keyboarder halt beide vor die Nase.

Natürlich ging noch mehr mit Saiten: Zum Beispiel in Gestalt der Bühnenflügel aus Yamahas CP-Serie, zumindest in den Modellen mit den höheren Modellnummern, deren drahtiger Klang zu Live-Balladen der prä-DX-Ära gehört wie das Bärenfell zum Kaminfeuer. Peter Gabriel an einem Honkytonk-Piano? Da würde einem doch glatt die Wunderkerze ausgehen! Der Haken: Für ein CP-80 musste man lockere 10.000 Mark auf den Tresen werfen, das wäre heute etwa genau so viel in Euro.

Helpinstill-Pianos immerhin bekam man für rund die Hälfte; dafür sind sie heute auch ungefähr so bekannt wie Mya oder Monica: in den 90er-Jahren mal ganz passable Sängerinnen, seither leider vergessen oder ins C-Promi-Lager abgerutscht. OK, wer noch weniger Kohle am Start hatte, musste deshalb pianomäßig noch lange nicht leer ausgehen. Aber Obacht: Selbst Anfang der 80er-Jahre war Anschlagdynamik bei E-Pianos mit synthetischer Klangerzeugung − die gab’s tatsächlich! − noch nicht selbstverständlich. Da klangen selbst feinfühlige Love-Songs schnell wie eine Mischung aus Kraftwerk und Detroit-Techno.

Vintage FX.

Einen nicht unwesentlichen Anteil an den heute berühmten E-Piano-Sounds haben die Effekte von damals. In den 70ern ging beim Rhodes eigentlich nichts ohne Phaser, während der Sound eines »Dyno-Rhodes« der 80er (es handelt sich dabei um ein speziell auf obertonreichen und glockigen Klang getrimmtes Rhodes) mit einem fetten Chorus beliebt war. Mittels Kompressor wurde die Sustain-Phase auf das Maximum ausgelutscht, um einen eher breiten und flächigen Stereosound zu erzielen. Die Edelvariante und somit Pflichtausstattung eines jeden Studios war damals das Roland Dimension D. Bis heute im Klang ebenso unerreicht und ein Klassiker unter den Vintage-Effekten ist das Schulte Compact Phasing A, das in den 70ern in Berlin hergestellt wurde.

Entdecke die Möglichkeit.

Zum Rhodes gehören außerdem ein gutes Wah-Wah-Pedal und vor allem ein Tremolo-Effekt, wobei das D6 wegen seines obertonreichen Saitenklangs gern auch Flanger und Chorus im Signalweg hat − nicht zu vergessen Verzerrerpedale und Ringmodulator! Der Kreativität sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

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