Stockhausens Labor

WDR: Studio für Elektronische Musik Köln

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Das Studio für Elektronische Musik Köln, in dem Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Johannes Fritsch oder David Johnson ihre Werke produzierten, wurde 2001 offiziell geschlossen. Dass wir heute noch einen Blick in eine Produktionsumgebung ohne Computer, Sampler oder digitalen Synthesizer werfen können, verdanken wir vor allem dem Einsatz von Volker Müller.

(Bild: Markus Thiel)

Ein Industriegebiet im Kölner Norden. Das Fitnessstudio im ersten Stock ist gut besucht. Uns zieht es allerdings eher in den Untergrund. Durch eine unscheinbare Kellertür betreten wir das Reich von Volker Müller.

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Bevor dieser 1971 die Stelle als Techniker im Elektronischen Studio, die er über 30 Jahre mit Enthusiasmus ausfüllte und entgegen eindringlicher Warnungen durch Kollegen (»Die machen dich verrückt da!«) annahm, hatte er vorher bereits als junger Toningenieur an einem Projekt mit Karlheinz Stockhausen gearbeitet. Für ihn ging es darum, die Gelegenheit wahrzunehmen, »etwas Neues und Spannendes« zu machen.

Das Elektronische Studio in seiner letzten Inkarnation mit gehängter 12-KanalAnlage: 12 Urei 811C-Speaker, angetrieben von Klein + Hummel AK-120-Poweramps
2 Variables Allison Hi-Cut/Low-Cut-Filter, darunter ein abstimmbarer Anzeigeverstärker von Rhode&Schwarz, der als Bandpassfilter mit Resonanz diente. Ganz unten: ein Impulsgeber
EMS QUEG − 16-kanaliger quadrofonischer Effekt-Generator

Wir hören ein Werk auf einer imposanten, konzentrisch aufgebauten 12-Kanal-Anlage aus Urei 811C-Koaxial-Lautsprechern. Müller, der sich sonst aus kompositorischen Dingen heraushielt, um sich ganz der technischen Umsetzung zu widmen, hatte gemeinsam mit dem Komponisten Paulo C. Chagas aus einem kleinen Klangfragment − Ursprung war eine technischen Fehlfunktion − das beeindruckende Stück Projektion mit einer Fülle an Klängen und Raumbewegungen geschaffen.

Mit einer Endlosschleife Gelbband und einer Bandmaschine demonstriert Müller, wie durch aufgeklebte keilförmige Bandausschnitte rhythmische Klangkaskaden erzeugt werden können. Ein Oszillator spendet Klangmaterial, während eine zweite Bandmaschine die rhythmisierten Klänge aufnimmt und über Hinterband rückkoppelt.

Wie aufwendig Produktionen in den Anfängen tatsächlich waren, lässt sich außerdem erahnen, wenn man eine der umfangreichen Realisations-Partituren anschaut, die damals zusammen mit einzelnen Werken entstanden. Heutzutage klicken wir einmal auf »Save« und haben alle Parameter einer Produktion gespeichert. Damals wurden sämtliche Vorgänge, wie etwa die Formung jedes einzelnen Klanges, bis ins kleinste Detail notiert.

Feuchter Traum: eine Nacht mit dem legendären EMS-SynthesizerSynthi 100
Die Technik der frühen Jahre
Der EMS Vocoder wurde speziell für das Elektronische Studio Köln entwickelt.

Der Besuch im Elektronischen Studio Köln ist für Technik-Geeks und jeden, der sich für die Anfänge der Elektronischen Musik interessiert, ein ganz besonderes Erlebnis. Durch Volker Müllers Erläuterungen zu Technik und Hörbeispielen gewinnt man einen lebendigen Einblick in die historischen Produktionsweisen. Wie sich die Situation dieses außergewöhnlichen Studios weiterentwickelt, steht noch in den Sternen. Klar ist, dass demnächst wieder ein Umzug ansteht; wohin und unter welchen Bedingungen, ist noch nicht bekannt. Dass dieser ungeheure Schatz auch für zukünftige Generationen erhalten werden muss, steht allerdings außer Frage.


Das Studio für Elektronische Musik Köln − von den Anfängen beim NWDR bis zum heutigen Museum und Archivierungs-Standort

Gegründet wurde das Studio im Jahr 1951 vom damaligen NWDR (später WDR), u. a. auf Initiative von Herbert Eimert und des Technikers Fritz Enkel. Das Studio sollte als internationale Forschungsstätte für Elektronische Musik dienen, in dem jungen Komponisten die Werkzeuge zum Erforschen und Herstellen Elektronischer Musik zur Verfügung gestellt wurden.

Rhythmische Sequenz aus Magnetschnipseln auf Gelbband, abgespielt über eine Telefunken Bandmaschine (Bild: Markus Thiel)

Nach heutigen Maßstäben war die technische Ausstattung des Studios eher bescheiden und erinnerte mehr an ein Forschungs-Labor mit Geräten aus der Messtechnik − und genau das waren sie ja auch. Sinusgenerator, Rauschgenerator, Impulsgenerator, verschiedene Filter, Hallräume und Tonbandmaschinen waren die Werkzeuge, die den Komponisten zur Verfügung standen, um komplexe Tongebilde und Klangverläufe zu erschaffen. Auf Basis dieser technischen Ausstattung konnte die Realisation eines Stückes allerdings viele Wochen und Monate dauern.

Nachdem dann 1963 Karlheinz Stockhausen die Leitung des Studios übernahm, wurden Pläne für eine Modernisierung gefasst, die allerdings erst 1970 abgeschlossen wurde. 1974 hielt mit dem EMS Synthi 100 dort auch der erste Synthesizer Einzug. 1987 wurde das Studio aus dem Sendehaus in neue Räume in der Kölner Südstadt verlegt und Stück für Stück digitalisiert.

Im Jahre 2001 schließlich sollten die Gerätschaften im Rahmen der Studioschließung verschrottet werden. Professor Karl Karst, Wellenchef von WDR 3, verhinderte dies und ließ das Studio am heutigen Ort wieder aufbauen, um die analogen Schätze aus 50 Jahren Studiobetrieb digital zu archivieren.

Volker Müller, von 1971 bis 2001 Techniker und Toningenieur im Studio, hatte die Mammutaufgabe, den Umzug und die Planung eines optimalen Aufbaus in den neuen Räumen zu realisieren. Dank seiner unermüdlichen Initiative und seines immensen Wissens, das er gerne mit Besuchern teilt, haben wir auch heute noch die Möglichkeit, die historischen Produktionsbedingungen der frühen Elektronischen Musik in allen Details zu erleben.


Volker Müller über Produktionstechniken und seine Anfänge im Studio 

»Es gab da diesen Film auf Arte − Musik für eine neue Welt −, der sich mit den frühen Stockhausen-Jahren bis zu Hymnen befasst. In diesem sagt Gottfried Michael König, der spätere Leiter des Instituts für Sonologie in Utrecht: ›Manchmal haben wir für eine 10-Sekunden- Sequenz zwei Wochen gebraucht.‹ Das kann man sich heute kaum noch vorstellen.

Heute ist die Welt ja voller Mittel, sei es Hardware oder Software. Aber damals musste man Ideen haben, wie bestimmte Sachen, Klänge und Verläufe entwickelt werden können. Das habe ich immer bewundert.

Volker Müller an seinem Arbeitsplatz (Bild: Markus Thiel)

Ich war ja damals nicht dabei, ich bin ja erst 1971 dazugekommen, als das Studio, sagen wir mal, aus der frühen Pubertät rausgekommen war und schon 20 Jahre existierte. Ich habe es dann 30 Jahre begleitet, bis zum Schluss.

So wie das Studio hier im hinteren Teil aufgebaut ist, habe ich es kennengelernt. Die meisten der Geräte damals stammten ja aus der Messtechnik. Immer wenn der technische Dienst des WDR neue Geräte bekam, landeten deren ausgemusterte Gerätschaften bei uns im Studio.

Die Konzeption des Studios stammte von 1968 und wurde 1970, zur Zeit der Weltausstellung in Osaka, schon wieder umgebaut, weil sich manche Dinge als unpraktisch erwiesen hatten. Der ganze WDR war damals ja noch monofon, es ging gerade erst los mit der Stereofonie.

 

Ich kam in diese zwei Räume rein, und es gab da jede Menge Lautsprecher und Abhörwege, Bandmaschinen und Messtechnik. Ich fand das alles ungeheuer spannend − mit einem Filter aus einem Impulsklang die Obertöne zu erzeugen, die man dann auf dem Oszilloskop sehen konnte.

Ich habe also sehr viel experimentiert, und der erste Komponist, mit dem ich dort arbeitete, war der Tschechoslowake Ladislav Kupkovic, der auf Einladung des WDR zu Gast war, um dort mit den Mitteln des Elektronischen Studios ein Stück zu realisieren. Kupkovic hatte so was noch nie gemacht, ich auch nicht. Er sagte: ›Wir werden uns arrangieren‹, und so entstand das erste vierkanalige Stück, an dem ich mitarbeitete.

Dann kam York Höller. Der hatte Erfahrung und kannte auch den Gründer des Studios, Herbert Eimert. Das war dann eine ganz andere Sache. Er kannte die Realisations-Partitur von Kontakte (Stockhausen) sehr gut, wusste genau, was er wollte, und konnte das schon in Parametern oder Gerätekonfigurationen beschreiben.

Danach entstand ein zweistündiges Werk von Jean-Claude Eloy, das zunächst als zehnminütige Etüde geplant war. Eloy hatte bisher auch keine Erfahrung mit Elektronik und bezeichnete mich später als seinen Lehrer − was er damit belegte, dass ich nie direktiv gehandelt, sondern ihm völlig freie Hand gelassen hatte. Ich sagte ihm: ›Wenn was kaputt geht, dann sind das schlechte Geräte. Studiogeräte gehen nicht davon kaputt, dass man sie „falsch“ einsetzt.‹ «

(Bild: Markus Thiel)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. “schließlich sollten die Gerätschaften im Rahmen der Studioschließung verschrottet werden.”

    Bei 7 Milliarden € Zwangsgebühren jährlich kann man sich’s ja leisten, so einen alten Synthi wegzuwerfen…..

    🙁

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    1. Querdenker lassen keine Gelegenheit aus, ihren Hass abzusondern.

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  2. Ich hatte gedacht, es gibt etwas neues über das Studio zu berichten. Einen veralteten Artikel, ohne Überarbeitung, jetzt im Jahr 2022 erneut zu publizieren, bringt keinen Neuwert.
    Viel interessanter wäre es doch gewesen zu erfahren, wie es mit dem Studio weiter geht, da Volker Müller leider im Februar letzten Jahres verstorben ist.

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